312
Zunftwesen und Gewerbefreiheit.
Zache genugsam und reiflich überlegt. Bei dem jetzigen Ztand der Dinge
klagt das Publikum über Zwang, den es von den Handwerkern dulden
muß, über die Verarmung vieler, die etwas erwerben wollen, denen man
keine Mittel und Wege dazu offen läßt. Man verlangt unbedingte Ge¬
werbefreiheit. Dagegen jammern und lärmen die Handwerker, daß sie
brotlos werden, wenn man ohne Unterschied jedermann Handwerkern läßt,
daß sie bei Einführung von Gewerbefreiheit insgesamt an den Bettelstab
kommen müssen, und daß das Publikum selber den größten Zchaden davon¬
tragen werde, wenn es von Ztümpern betrogen wird. welchen weg hier
nun einschlagen?"
„Mitten durch, gnädigster Herr! Zunftwesen und Gewerbefreiheit
müssen nebeneinander bestehen," sagte Jordan.
„weise gesprochen, Meister!" warf der Fürst ein, „aber wie wollt
Ihr Gewerbefreiheit und Zunftzwang miteinander vereinigen?" — „Ich
würde den Zunftzwang abschaffen, aber nicht das Zunftwesens ich
würde Gewerbesreiheit gestatten, doch nicht Gewerbezügellosigkeit.
In Dörfern und Ztädten würde ich die Niederlassung von Handwerkern,
Landeskindern wie ansässigen Fremden, erlauben; nur sollte niemand ein
Handwerk treiben, ohne einen Gewerbeschein zu haben, und niemand sollte
hausieren dürfen, wenn er nicht Ware führt, die von einem zugelassenen
Handwerksmeister herrührt. Kein Meister aber sollte einen Gewerbeschein
erhalten, der nicht das Zeugnis einer Zunft vorlegen könnte, er verstehe
sein Handwerk aus dem Grunde und habe als tüchtiger Gesell einen
ordentlichen Lehrbrief erhalten. Es muß künftig schwerer sein, Geselle,
als heutigestags Meister zu werden, wird der Lehrling Geselle, so steht
es ihm frei, auf die Wanderschaft zu gehen oder sich ansässig zu machen
und einen Gewerbeschein zu fordern.
Nun aber gelange ich zum Grundübel, an welchem der Handwerks¬
stand krankt. Da nimmt man den Jungen aus der Zchule, ehe er was
Rechtes gelernt hat, tut ihn zu früh in die Lehre, wo er dann vergißt,
was er aus der Zchule mitgebracht hat, spricht ihn nachher frei, macht
ihn zum Gesellen, fragt nicht, wieviel er versteht, sondern wieviel Jahre
er in der Lehre gestanden. Zo ist der Gesell gewöhnlich nur ein er¬
wachsener Lehrbursch, der nicht mehr die Ztuben wischen muß und nach
Jahren ein paar Handgriffe erlernt und eingeübt hat. Dann zieht er in
andern Ztädten umher, schnappt ein paar Handgriffe mehr auf, wird
Meister und bleibt Ztümper im Handwerk sein Leben lang."
Hier machte der Kabinettsrat eine beifällige Bewegung, und auch
der Fürst wurde ernster und mahnte den Meister, weiter zu reden.
„Es sollte mir," fuhr Jordan fort, „kein Knabe eher ins Handwerk
getan werden, als bis er, je nach dem Bedarf seines künftigen Berufs,
das Nötigste in der Zeichenkunst, desgleichen das zum Handwerk Nützliche
und Unentbehrliche aus der Mathematik, aus der Mechanik u. dgl. inne
hätte. Je mehr er aus der Zchule ins Handwerk hinüberträgt, umsomehr
trägt ihm nachher die Ernte vom Handwerk ein."
„Ihr treibt es zu weit, Meister Jordan!" fiel ihm der Fürst in die
Rede, „woher sollen eure Lehrburschen all die Gelehrsamkeit nehmen?"
„wo sie die Fabrikanten hernehmen, Ew. Durchlaucht. Fabrikanten,
Lhemiker, Mechaniker haben Gewerbeschulen, Kaufleute ihre Handels¬
schulen, Offiziere ihre Kriegsschulen, reiche Landwirte ihre Bckerbauschulen,