Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

Adel und Bürgertum. 
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Kunst zum Fortschritt und zur Veredelung des geistigen Lebens bei¬ 
trugen. Aber die Wirkung auf diesen Stand war zunächst nur 
gering. Ein kleinlicher, pedantischer Sinn überwog; das Dichten 
und Trachten war an Eigensucht und Kirchturmsinteressen gebunden. 
Man arbeitete fleißig, feierte ehrenfest uub bieder die herkömmlichen 
kirchlichen und weltlichen Feste, hielt zähe an den altväterlichen 
Gebräuchen fest, aber manschätzte ailßerhalb der Kirche das materielle 
Dasein viel höher als das geistige. Wenig änderte daran der 
Pietismus in der ersten, viel mehr der Rationalismus und die Auf¬ 
klärung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. 
Der erste Versuch einer geordneten Armenpflege ging von dem 
Reimarus'schen Kreise in Hamburg aus und wirkte nach Preußen 
hinüber, wo Lessings Nathan den größten Beifall fand, in dem mit 
überzeugender Kraft dargestellt war, daß nicht andächtige Schwärmerei 
sondern tatkräftige Nächstenliebe den Wert der Religion bestimme. 
Aber der Sinn des Bürgertums war noch gebunden und ohne 
höhern Schwuilg. In dem väterlich aber doch despotisch regierten 
Staat war man nur gewohnt, sich leiten zu lassen, zu gehorcheil 
lmd allen Anfang und Vortritt der Regierung zu überlassen. Mit 
demütiger Unterwürfigkeit stand jftcm dem Beamten als einem höheren 
Wesen gegenüber und erwartete allen Segen von einer guten 
Polizei. Nur iu Berliu nnb den größeren Städten ernnlchs mit 
der höheren Bildung auch ein freierer Sinn, der jedoch in nutzloser 
Kritik sich vergeudete, während der verfeinerte Geschmack sich mit 
einem üppigeren Lebensgenuß vereinte. 
Die Theater waren überwiegend fürstliche; sie dienten zur 
Unterhaltung des Hofes. Nur in den großen Städten spielten 
ivandernde Schauspielertruppen für das Volk. Die Musik, die 
bisher fast nur kirchlichen Zwecken diente, wurde ihrer weltlichen 
Aufgabe zugeführt, nnb das öffentliche Konzertwesen nahm seinen 
Anfang. Die bürgerlichen Wohnlingen zeugten durch eine gewisse 
ärmliche Einfachheit davon, wie gering noch der Wohlstand im 
ganzen war; Teppiche sah man selten; man legte Matten oder 
streute Sand. Uilernießlich war noch der Abstand zwischen ben 
großartigen königlichen Schlössern und den bescheidenen Häusern der 
wohlhabendstell Bürger. Doch gab es and; keine Mietskasernen, 
Me Einzelwohnungen herrschten vor; man wohnte nicht über, sondern
	        
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