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Um in dieser Welt unsere Pflicht gegen Gott und gegen die
Menschen beständig zu erfüllen, ist es nötig, alle Fähigkeiten zu
pflegen, welche uns Gott gegeben hat. Und er hat uns alles ge¬
geben. Sein höherer Wille soll unserm Willen zur Richtschnur
dienen. Die Kenntnis des Guten und des Bösen, die Kenntnis
von Recht und Unrecht ist es, die uns auf Erden den Menschen
und nach dem Tode Gott verantwortlich macht.
Das Gebiet der Pflicht ist unbegrenzt, es umfaßt jede Lage
des Lebens. Es steht nicht in unserer Willkür, reich oder arm,
glücklich oder unglücklich zu sein; aber was wir auch sein mögen,
unsere Pflicht sollen und müssen wir erfüllen. Der Pflicht zu ge¬
horchen, mag es kosten, was es will, mag es so gefahrvoll sein,
als es will — das ist das wahre Wesen des höchsten, edelsten
Lebens, klm Großes zu vollbringen, muß man alle Kräfte ein¬
setzen, darf die zuversichtliche Hoffnung nicht verlieren, muß man
bereit sein, selbst dafür in den Tod zu gehen; heute, wie in der
Vergangenheit.
Am besten übt man seine Pflicht im stillen, von Menschen
ungesehen. Da übt man sie mit der erforderlichen Hingebung, auf
edle Weise aus, nicht nach dem Vorbilde weltkluger Leute, die
laut ihr Tun der Welt verkünden. Man folgt einer tieferen An¬
schauung, einem höheren Gesetze, nach welchem jeder Mensch für
sein ganzes Leben, für jede Handlung dem gesamten Menschen¬
geschlechte verantwortlich ist. Häufen doch in der Tat unsere bösen,
leichtsinnigen Handlungen Tag für Tag Schulden auf, für welche
die Menschheit früher oder später aufkommen mnß.
Aber wie soll man lernen, seine Pflicht zu tun? Da ist zu¬
nächst das nns durchdringende, dauernde Gefühl unserer Pflicht
gegen Gott. Dann die Pflicht gegen unsere Familie, die Pflicht
gegen unsere Nachbarn, die Pflicht der Herren gegen ihre Diener
und der Diener gegen ihre Herren; die Pflicht gegen unsere Mit¬
geschöpfe, die Pflicht gegen den Staat, der ebenfalls seine Pflicht
gegen die Bürger zu erfüllen hat.
Viele dieser Pflichten werden im stillen erfüllt. Unser öffent¬
liches Leben nrag wohl bekannt sein; das innere Leben unserer
Seele, unseres Geistes aber sieht niemand, es geht im geheimen
vor sich. Wir haben es in nnserer Gewalt, würdig oder unwürdig
zu sein. Niemand vermag unsere Seele zn töten; sie kann nur
durch eigene Schnld zu Grunde gehen. Vermögen wir nur, uns
selbst und andere ein wenig besser zu machen, so haben wir viel¬
leicht so viel geleistet, als wir irgend können.
Vor etwa einem Jahrhundert ereignete sich in Amerika eine
Sonnenfinsternis. Der Himmel wurde sehr dunkel, und viele Lente
glaubten, daß das jüngste Gericht anbreche. Zufällig hielt die