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Denn nicht nur wurden von nun an manche Blätter, die bis dahin
einmal wöchentlich erschienen waren, zwei- bis viermal in der Woche
herausgegeben, sondern es traten auch zahlreiche neue ins Leben,
die meisten in Frankreich, wo die Revolutionszeit nicht weniger
als 750 geschaffen hat.
Als nach der Julirevolution von 1830 wieder ein Hauch
größerer Freiheit über deutsche Fluren wehte, traten die politischen
Blätter abermals bedeutsam hervor. Denn einmal gründete man
manche neue wie die „Deutsche Tribüne", das „Bayerische Volks-
blatt", den „Freisinnigen", sodann wurden im Preßwesen Einrich¬
tungen geschaffen, die es mit rascheren Schritten zur Entwickelung
brachten. Denn jetzt trat das Feuilleton mehr in den Vordergrund,
das um das Jahr 1800 in Frankreich aufgekommen war und zu¬
nächst Besprechungen von Theaterstücken und Büchern, Reiseberichte
und verwandtes, schließlich aber auch Romane und Novellen enthielt;
sodann wurde das Anekdotenhafte, das bisher noch vielfach in den
Blättern geherrscht hatte, sehr zurückgedrängt und die Abhängigkeit
des Inhalts von französischen Zeitungen wesentlich geringer, da
man sich selbständiger fühlte und mehr auf eigene Füße stellte.
Hauptsächlich aber trat der Parteistandpunkt der Zeitungen stärker
hervor, und infolgedessen fanden die Leitartikel allgemeinere Auf¬
nahme. Denn wie ein jeder in seinem Journale die politischen Ansichten
von sich und seinen Genossen ausgesprochen zu sehen wünschte, so
glaubte er auch, man müsse durch Aufsätze von einer bestimmten
Färbung auf das Volk einzuwirken suchen. Mit dem Aufkommen
der neuen Verkehrsmittel vollends, welche die Zeitung sofort in ihre
Dienste nahm, wuchs diese ganz gewaltig.
Heute kann man fast die übergroße Zahl von Blättern als
einen Krebsschaden bezeichnen. Jede kleine Stadt will ihr Organ
haben und darin ihre eigensten Angelegenheiten besprochen sehen.
Dadurch aber wird den größeren Blättern Abbruch getan und die
Möglichkeit genommen, soviel zu ihrer Vervollkommnung zu tun,
als sie tun wollen. In Berlin allein werden heute etwa 700 ver¬
schiedene Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben, die Gesamtzahl
der in Deutschlano erscheinenden Blätter aber ist von etwa 300
im Jahre 1820 auf 9000 im Jahre 1902 gestiegen. Alle Stände,
Wissenschaften, Handwerke und Gewerbe haben heute ihre besonderen
Zeitungen; anfangs der siebziger Jahre gab es bei uns schon 80 land¬
wirtschaftliche Zeitschriften und 28 Modeblätter, 23 Organe für Bau¬
kunst, 20 für Forst- und Jagdwesen rc., zur Zeit gibt es hunderte
von Fachzeitungen, die namentlich für das Handwerk von besonderer
Bedeutung sind. Jeder Handwerker sollte wenigstens ein Fachblatt
halten, um sich über die Fortschritte in seinem Beruf zu unterrichten;
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