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Die Post.
29. Me Uost.
Die Post ist die öffentlichste aller Staatsangelegenheiten. Einem
jeden bringt sie täglich Nahrungsmittel des sittlichen, geistigen und
politischen Lebens. Sie kommt von allen Teilen der Welt mit derselben
Regelmäßigkeit wie die Sonne, um uns zu melden, nicht nur, was
unsere privaten Verhältnisse und Empfindungen betrifft, sondern wie
es mit dem gesamten öffentlichen Leben steht. Wenn einmal ein Zufall
das Spiel einer einzigen Feder dieser großen Maschine zerstörte:
Tausende von Interessen, die der Privaten sowohl wie die der Staats¬
verwaltungen, würden mit einem Schlage in Mitleidenschaft gezogen
werden.
In den vielen Millionen deutscher Familienbriefe, welche die Post
jährlich befördert, spiegelt sich das Leben des ganzen Volkes ab: seine
Freuden und Hoffnungen, seine Pläne und Erfolge, sein Kummer und
seine Sorgen. In ihren verschwiegenen und doch so beredten Falten
sind Freundestreue und Liebeslust, Vaterwort und Muttertränen, Wiege
und Grab geborgen. Durch sie wird sittlicher Gehalt des Familien¬
lebens in Zeit- und Raumfernen übertragen. Sie bringen den Früh¬
ling gleich den Scharen der Zugvögel, und sie streuen wie beschwingte
Boten des Windes den Blütenstaub der Heimat auch aus die ent¬
legensten Pfade des Wanderers.
Gewiß ist es in aller Erinnerung, in welchem Maße während
des große:: deutschen Einheitskrieges die Bedeutung der Familien¬
korrespondenz hervortrat. Vom 16. Juli 1870 bis zum letzten März
1871 beförderte die Feldpost 90 Millionen Briefe, d. i. täglich 315 000.
Wenn die Armee zum Vaterlande durch das weltgeschichtliche Echo
ihrer Siege sprach, so sprach der einzelne Krieger mit den Seinen in
der Heimat und diese mit ihm durch die Stimme der Feldpost.
Wie klang der Freudenrus unserer Bataillone, wenn die Feldpostwagen
angerückt kamen! Pulver, Brot und Briese waren die drei Haupt¬
bedürfnisse. Der begeisterte Dank des Vaterlandes, die frischen Schil¬
derungen der unmittelbaren Eindrücke der großen Nachrichten auf die
bekannten Kreise des Heimatdorfes, vor allem die Wärme des Gefühls
in diesen stets so freudig empfangenen Boten aus der Heimat stärkte
und belebte die Krieger; und in den folgenden Strapazen und Kämpfen
zeigte sich dann, daß auch diese Wärme in Kraft umgesetzt wurde.
Der auswärtige Postverkehr Deutschlands reicht von Neuholland
bis Kamtschatka und von den Fidschi-Inseln bis Grönland. Deutsche
Zeitungen gehen bis Japan und Australien. Der Handel und die
Schiffahrt, die Auswanderung, das Missionswesen, der Gesandtschafts¬
und Konsulatsverkehr, der Briefwechsel mit den aus fernen Expeditionen
befindlichen kaiserlichen Schiffen der Marine und die Korrespondenz
der Gelehrten kommen hierbei besonders in Betracht.
Dem Weltpostverkehr dienen vorzugsweise die Dampferlinien. Die
nördlichsten Punkte der Erde, die von regelmäßigen Postdampfschiffen
berührt werden, sind das Nord-Kap, das von den zwischen Hammersest
und dem Varanger Fjord gehenden norwegischen Postdampfern um-