Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

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Stecken und Stab trösten mich," sagte der Kaiser mit vernehmlicher 
Stimme: „Das ist schön " Den Schluß des Wortes: „Herr, mm 
lässest du deinen Diener in Frieden fahren," sprach der Kaiser im 
Zusammenhange nach: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen." 
Als sich der Tod sichtbar ankündigte, segnete der Geistliche, während 
die königliche Familie niederkniete, den Sterbenden ein mit den 
Worten: „Der Herr behüte deinen Ausgang und deinen Eingang von 
nun an bis in Ewigkeit! Ziehe hin in Frieden!" Draußen aber 
ließen die Glocken ihren ehernen Mund ertönen, und dumpf rollte 
der Donner der Kanonen, welche den Heimgang des obersten Kriegs¬ 
herrn verkündigten. 
Die Trauer des ganzen Volkes war unbeschreiblich. Durch das 
ganze Land ging der Klageruf: „Wir sind wie Waisen, die ihren Vater 
verloren haben!" Wenige Stunden nach dem Hinscheiden des Kaisers 
erschien Fürst Bismarck im Reichstage, um die schmerzliche Kunde 
von dem Abscheiden des ersten deutschen Kaisers zu überbringen. Er 
widmete bei diesem Anlaß dem Andenken des Heimgegangenen folgende 
Worte: 
„Die heldenmütige Tapferkeit, das nationale hochgespannte 
Ehrgefühl und vor allen Dingen die treue, arbeitsame Pflichterfüllung 
im Dienste des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande, die in 
unserm dahingeschiedenen Herrn verkörpert waren, mögen ein unzer¬ 
störbares Erbteil unsers Volkes sein, welches der aus unserer Mitte 
dahingeschiedene Kaiser uns hinterläßt! Das hoffe ich zu Gott, 
daß dieses Erbteil von allen, die wir an den Geschäften unsers 
Vaterlandes mitzuwirken haben, in Krieg und Frieden, in Helden¬ 
mut, Hingebung, Arbeitsamkeit und Pflichttreue treu bewahrt werde!" 
Gesegnet bleibe sein Andenken für alle Zeiten! Rogge. 
149. Kaiser Wilhelm 1. an Mrst Bismarck. 
Mein lieber Fürst! 
Wenn sich in dem deutschen Lande und Volke das warme Ver-- 
langen zeigt, Ihnen bei der Feier Ihres 70. Geburtstages zu betätigen, 
daß die Erinnerung an alles, was Sie für die Größe des Vaterlandes 
getan haben, in fo vielen Dankbaren lebt, so ist es Mir ein tief¬ 
gefühltes Bedürfnis, Ihnen heute auszusprechen, wie hoch es Mich 
erfreut, daß solcher Zug des Dankes und der Verehrung für Sie durch 
die Nation geht. Es freut Mich das für Sie als wahrlich im höchsten 
Maße verdiente Anerkennung, und es erwärmt Mir das Herz, daß 
solche Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kundtun; denn es 
ziert die Nation in der Gegenwart und stärkt die Hoffnung auf ihre 
Zukunft, wenn sie Erkenntnis für das Wahre und Große zeigt und 
wenn sie ihre hochverdienten Männer feiert und ehrt! — 
An solcher Feier teilzunehmen, ist Mir und Meinem Hause eine
	        
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