Albrecht von Haller.
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Dein Trank ist reine Flnt und Milch die meisten Speisen,
Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;
Der Berge tiefer Schacht gibt dir nur schwirrend Eisen,
Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du!
Denn wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,
Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.
5. Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!
Der Reichtum hat kein Gut, das eurer Armut gleicht;
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemütern,
Weil kein beglänzter Wahn euch Zwietrachtsäpfel reicht:
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht haßt;
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,
Die, was ihr nötig, sucht und mehrers hält für Last;
Was Epiktet getan und Seneca geschrieben,
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.
6. Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,
Der Tugend untertan und Laster edel macht;
Kein müßiger Verdruß verlängert hier die Stunden,
Die Arbeit füllt den Tag, und Ruh' besetzt die Nacht:
Hier läßt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,
Des Morgens Sorge frißt die heut'ge Freude nie.
Die Freiheit teilt dem Volk aus unpartei'schen Händen
Mit immer gleichem Maß Vergnügen, Ruh' und Müh'.
Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,
Man ißt, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke.
7. Denn hier, wo Gotthardts Haupt die Wolken übersteiget
Und der erhabnen Welt die Sonne näher scheint,
Hat, was die Erde sonst an Seltenheit gezeuget,
Die spielende Natur in wenig Lands vereint:
Wahr ist's, daß Libyen uns noch mehr Neues gibet
Und jeden Tag sein Sand ein frisches Untier sieht;
Allein der Himmel hat dies Land noch mehr geliebet,
Wo nichts, was nötig, fehlt und nur was nutzet, blüht,
Der Berge wachsend Eis, der Felsen steile Wände
Sind selbst zum Nutzen da und tränken das Gelände.
8. Wenn Titans erster Strahl der Felsen Höh' vergüldet
Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt,
So wird, was die Natur am prächtigsten gebildet,
Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt;