so lang er war, so lang war auch die Ähre. Aber wie die Menschen
sind, im Überfluß achten sie des Segens nicht mehr, der von Gott kommt,
werden gleichgültig und leichtsinnig. Eines Tages ging eine Frau an
einem Kornfeld vorbei, und ihr kleines Kind, das neben ihr sprang, fiel
in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen. Da riß die Mutter eine
Handvoll der schönen Ähren ab und reinigte ihn: damit das Kleid. Als
der Herr, der eben vorüberkam, das sah, zürnte er und sprach: „Fortan
soll der Kornhalm keine Ähren mehr tragen; die Menschen sind der himm¬
lischen Gabe nicht länger wert." Die Umstehenden, die das hörten, er¬
schraken, fielen auf die Kniee und flehten, daß er noch etwas möchte
an dem Halm stehen lassen; wenn sie selbst es auch nicht verdienten,
doch der unschuldigen Hühner wegen, die sonst verhungern müßten. Der
Herr, der ihr Elend voraussah, erbarmte sich und gewährte die Bitte.
Also blieb noch oben die Ähre übrig, wie sie jetzt wächst.
58. Schulze Hoppe.
Von Adalbert Kuhn und Wilhelm Schwartz.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche. Leipzig 1848. S. 356.
EL war einmal ein Schulze, der hieß Hoppe, dem konnte es der
liebe Gott nie recht machen mit dem Wetter; bald war’s
ihm zu trocken, bald regnete es zu viel, und da sagte der liebe
Gott endlich: „Im nächsten Jahre sollst du das Wetter selbst
machen.“ So geschah es denn auch, und der Schulze Hoppe ließ
nun abwechselnd regnen und die Sonne scheinen, und das Getreide
wuchs, daß es nur so eine Freude war, mannshoch. Als es nun
aber zur Ernte kam, waren alle Ähren taub; denn Schulze Hoppe
hatte den Wind vergessen, und der muß doch wehen, wenn das
Getreide sich ordentlich besamen und Frucht tragen soll. Seit der
Zeit hat Schulze Hoppe nicht mehr übers Wetter gesprochen und
ist zufrieden damit gewesen, wie es unser Herrgott gemacht hat.
59. Kornähren. Von Christoph von Scbmid.
Gesammelte Schriften. XVI. Bdcli. 2. Ausl. Augsburg 1861. 8. 52.
Cin Landmann ging mit seinem kleinen Sohne Tobias auf den Acker
hinaus, um zu sehen, ob das Korn bald reif sei. „Vater, wie
kommt's doch," sagte der Knabe, „daß einige Halme sich so tief zur Erde
neigen, andere aber den Kopf so ausrecht tragen? Diese müssen wohl
recht vornehm sein; die andern, die sich so tief vor ihnen bücken, sind
gewiß viel schlechter?" Der Vater pflückte ein paar Ähren ab und
Porger-W-olff, Lesebuch für Kuaben-Mittelschulen. II. 4