Full text: [Teil 2 = 4. bis 7. (8.) Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. bis 7. (8.) Schuljahr, [Schülerband])

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Das sagte mir mein Lehrherr nachher. „Ich sehe Ihm an,“ sagte 
er, „Er hält das Seine zu Rat. Aus dem andern gibt's keinen Kauf— 
maun.“ Da dachte ich wieder an den alten Herrn und an das Loch 
im Armel. 
5. Ich merkte wohl, ich hatte in andern Dingen, in meinen Kennt⸗ 
nissen, in meinem Betragen, in meinen Neigungen noch manches 
Loch im Armel. Zwei Nadelstiche zur rechten Zeit bessern alles, ohne 
Mühe, ohne Kunst. Man lasse nur das Loch nicht größer werden, 
sonst braucht man für das Kleid den Schneider und für die Gesund— 
heit den Arzt. Es gibt nichts Unbedeutendes und Gleichgültiges, 
veder im Guten noch im Bösen. Wer das glaubt, kennt sich und 
das Leben nicht. Mein Lehrherr hatte auch ein abscheuliches Loch 
im Armel, nämlich er war rechthaberisch, zänkisch, launenhaft. Das 
brachte mir oft Verdruß. Ich widersprach. Da gab's Zank. Holla, 
dachte ich, es könnte ein Loch im Armel geben und ich ein Zänker und 
gallsüchtig und unverträglich werden wie der Herr. Von Stunde 
an ließ ich den Mann recht haben. Ich begnügte mich, recht zu tun, 
und bewahrte meinerseits den Frieden. 
6. Al ich ausgelernt hatte, trat ich in ein anderes Geschäft. Da 
ich gewöhnt war, mit wenigen Bedürfnissen des Lebens froh zu sein 
(denn wer viel hat, ist nie ganz froh), so sparte ich manches. Da ich 
gewöhnt war, mir kein Loch im Armel zu verzeihen, aber schonend 
uber dasjenige an fremden Armeln wegzusehen, war alle Welt mit 
mir zufrieden, wie ich mit aller Welt. So hatte ich beständig Freunde, 
beständig Beistand, Zutrauen, Geschäfte. Gott gab Segen. Der 
Segen liegt im Rechttun und Rechtdenken, wie im Nußkern der 
fruchttragende hohe Baum. 
7. So wuchs mein Vermögen. Wozu denn? fragte ich. Du brauchst 
ja nicht den zwanzigsten Teil davon. Prunk damit treiben vor den 
Leuten? Das ist Torheit. Soll ich in meinen alten Tagen noch ein 
Loch im Armel aufweisen? Hilf andern, wie dir Gott durch andere 
geholfen. Dabei bleibt's. Das höchste Gut, das der Reichtum ge— 
währt, ist zuletzt Unabhängigkeit von den Launen der Leute und ein 
großer Wirkungskreis. 
8. Jetzt, Konrad, geh auf die Hohe Schule, lerne etwas Rechtes. 
Denk an den Mann mil der schneeweißen Perücke. Hüte dich vor dem 
ersten kleinen Loch im Amel. Mach's nicht, wie mein Kamerad 
Abrecht! Er nahm drüben in Amerika ein klägliches Ende. 
Heinrich Zschokke.
	        
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