Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

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99. Zur Geschichte der deutschen Telegraphie. 
„Das ist eine deutsche Idee!" sagte am 5. November 1809 
Napoleon I. zu seinem Leibarzte, als dieser ihm einen vollständigen 
elektrischen Telegraphen vorgelegt und dabei erklärt hatte, daß mit 
diesem Apparat zwischen Straßbnrg und Paris eine unmittelbare Ver¬ 
bindung möglich sei. Der Kaiser erklärte die Legung und Sicherung 
eines Verbindungsstranges von solcher Länge sur viel zu schwierig, 
um ausgesührt zu werden, und wies damit die Erfindung als eine 
„deutsche Träumerei" — denn das lag in dem wegwerfenden Tone, 
mit dem er sie als eine „deutsche Idee" bezeichnete — ohne weiteres 
von sich. 
Wir nehmen heute Napoleons Ausspruch als ein geschichtliches 
Zeugnis aus dafür, daß die Erfindung des Telegraphen eine deutsche 
ist. Die große Menge des Volkes knüpft zwar die Erfindung an den 
Namen Morse; der hat sich jedoch lediglich durch Verbesserungen 
Verdienste erworben. 
Der Erfinder des elektrischen Telegraphen ist der berühmte 
Samuel Thomas von Soemmerring, und die Zeit der Erfindung das 
Jahr 1809. Soemmerring, ein geborener Thorner, war Professor der 
Anatomie in Mainz, dann praktischer Arzt in Frankfurt a. M., ging 
1804 als Mitglied der Akademie der Wissenschaft nach München und 
wurde 1810 kgl. bayr. Geheimer Rat. Ihm gebührt die Ehre, um 
die sich noch in der neuesten Zeit Russen, Engländer und Amerikaner 
streiten, die Ehre der ersten Idee, den Galvanismus zur Telegraphie 
benutzt zu haben. Die Veranlassung zu dieser Erfindung war folgende: 
Am 5. Juli 1809 saß Soemmerring in Bogenhausen an der 
Tafel des Ministers Graf Montgelas. Im Laufe der Unterhaltung 
äußerte der Minister, die Akademie würde ihn erfreuen, wenn sie 
ihm Vorschläge zu einem möglichst zweckmäßigen Telegraphen vorlege. 
Vis dahin hatte man sich meist mit optischen Telegraphen begnügen 
müssen, die aber bei trübem Wetter ihrem Zwecke gar nicht oder nur 
sehr unvollkommen genügen konnten. Der Wunsch des Ministers 
brachte Soemmerring , der in seinen Mußestunden gern physikalischen 
und chemischen Studien oblag, auf den Gedanken, isolierte galvanische 
Drähte zu einem, telegraphischen Leitrmgsseil zusammenzuwinden „und 
dadurch etwas Ähnliches wie einen Nervenstrang zu konstruieren". 
Wie er nun, daran festhaltend, Versuch an Versuch reiht, bis endlich 
die ganze Erfindung vollendet und der erste Apparat erprobt ist, dies 
alles hat Soemmerring in einem Tagebuche niedergelegt. 
Für den ersten elektrischen Apparat der Erde hatte Soemmerring 
einen Glaskasten anfertigen lassen, dessen Boden aus Kork bestand, 
und in welchem 27 einzelne Goldstiste befestigt und mit den Buch¬ 
staben des Abc bezeichnet waren, ferner für den Schreiber des 
Telegramms ein ähnliches Gestell, dessen 27 Zapfen ebenso bezeichnet 
waren.
	        
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