272
Die erste Beere schwillt im Laube,
in schlanken Halmen steht die Saat.
Nun wachs auch du, du froher Glaube,
und du, du heitre, gute Tat!
Wohl jedem, dessen tiefstes Leben
das wahre Sonnenlicht gestreift,
daß wie die Saaten und die Reben
die Liebe in ihm blüht und reift!
Von Treue, Demut und Verzeihen
ein neuer Geist werd' offenbar! —
Schmückt Tür und Tor mit grünen Maien,
mit Maien Gräber und Altar!
119. Ueujahrslied.
Frida Schanz.
Mit der Freude zieht der Schmerz
traulich durch die Zeiten,
raube Stürme, milde weste,
bange Sorgen, frohe Feste
wandeln stch zur Seiten.
war's nicht so im alten Jahr?
wird's im neuen enden
Sonnen wallen auf und nieder,
Wolken gehn und komiuen wieder,
und kein Wunsch wird's wenden.
Und wo eine Träne fällt,
blüht auch eine Rose.
Schon gemischt, noch eh' wir's bitten,
ist für Throne und für Hütten
Schmerz und Lust im Lose.
Gebe denn, der über uns
wägt mit rechter wage,
jedem Sinn für feine Freuden,
jedem Nut für feine Leiden
in die neuen Tage!
Hebet.
120. Ostermorgen.
Die Lerche stieg am Ostermorgen
empor ins klarste Luftgebiet
und schmettert', hoch im Blau verborgen,
ein freudig Nuferstehungslied.
Und wie sie schmetterte, da klangen
es tausend Stimmen nach im Feld:
Wach auf, das Alte ist vergangen,
wach auf, du froh verjüngte Welt!
Wacht auf und rauscht durchs Tal,
ihr Bronnen,
und lobt den Herrn mit frohem Schall!
Wacht auf im Frühlingsglanz der Sonnen,
ihr grünen Halm' und Läuber all!
Ihr Veilchen in den Waldesgründen,
ihr Primeln weiß, ihr Blüten rot,
ihr sollt es alle mitverkünden:
Die Lieb' ist stärker als der Tod!
Wacht auf, ihr trägen Menschenherzen,
die ihr im Winterschlafe säumt,
in dumpfen Lüsten, dumpfen Schmerzen
rin gottentfremdet Dasein träumt!
Die Kraft des Herrn weht durch die
Lande
wie Jugendhauch, o laßt sie ein!
Zerreißt wie Simson eure Bande,
und wie die Adler sollt ihr sein!
Wacht auf, ihr Geister, deren Sehnen
gebrochen an den Gräbern steht,
ihr trüben Augen, die vor Tränen
ihr nicht des Frühlings Blüten seht!
Ihr Grübler, die ihr fernverloren,
traumwandelnd irrt auf wüster Bahn,
wacht auf! Die Welt ist neugeboren!
Hier ist ein Wunder, nehmt es an!
Ihr sollt euch all des Heiles freuen,
das über euch ergossen ward!
Es ist ein ewiges Erneuen
im Bild des Frühlings offenbart.
Was dürr war, grünt im Wehn der Lüfte,
jung wird das Alte fern und nah,
der Odem Gottes sprengt die Grüfte,
wacht aus! Der Oftertag ist da!
Emanuel Geidtl.