Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

363 
Man hatte in früheren Kriegen den jammervollen Zustand kennen gelernt, 
in welchem sich verwundete und erkrankte Krieger während der Schlacht und 
nach den Kümpfen befanden. Aus dem Krimkriege z. B. kehrten von 309000 
ausgerückten Franzosen 95240 nicht wieder heim. Davon waren nur 20000 
in Schlachten gefallen und ihren Wunden erlegen, 75 000 dagegen an 
Krankheiten gestorben. 
Um nun solche Mißstände bei neu ausbrechenden Kriegen mög¬ 
lichst zu beseitigen, trafen die gebildetsten Völker Europas eine Verein¬ 
barung, die sogenannte Genfer Konventton (der erste darauf bezügliche 
Vertrag wurde am 22. August 1864 zu Genf abgeschlossen). Danach 
sollte das gesamte Personal und Gerät, das im Kriege zur Pflege und 
Heilung der Kranken und Verwundeten gebraucht wird, sowie alles, was 
damit zusammenhängt, als neutral (keinem der kriegführenden Völker 
zugehörig) angesehen, die Pfleger also nicht zu Kriegsgefangenen gemacht 
und ihr Material nicht als Beute betrachtet werden. Als gemeinschaft¬ 
liches Zeichen für alle, welche diesen Schutz genießen, wurde das rote 
Kreuz auf weißem Grunde gewählt. Es hat viel Segen gesttftet bei 
Freund und Feind. Unter seinem Schutze haben die Ärzte und Geist¬ 
lichen, die barmherzigen Schwestern und die Diakonissinnen sich ihrer 
Pflegebefohlenen treulich annehmen können, sie weder im Getümmel des 
Kampfes, noch in ihren von Seuchen und ansteckenden Krankheiten heim¬ 
gesuchten Lagerstätten, noch in der Gefangenschaft verlassen. Überallhin 
bemühten sie sich, ihnen für die Schmerzen des Leibes und der Seele 
Linderung zu bringen, und gar manche hauchten ihr Leben aus im Dienste 
für die Brüder. 
Aber auch die Soldaten selbst halfen oft in der menschenfteundlichstev 
Weise ihren verwundeten Kameraden. 
Der badische Feldgeistliche vr. Bauer schreibt: „Ein Einundzwanziger 
wurde bei den Kämpfen um Dijon gegen Ende Januar 1871 von einem 
französischen Soldaten durch einen Schuß verwundet, während er ihn durch 
einen Bajonettstich verletzte. Als der Preuße sah, daß der Franzose schwerer 
als er verwundet sei, wälzte er sich zu ihm hin, packte seinen Tornister 
aus, verband erst ihn und dann sich selbst und deckte einen Teppich und 
seinen Mantel über sie beide, und so lagen sie vierundzwanzig Stunden 
auf dem Schlachtfelde. Dann kamen sie in verschiedene Lazarette, und 
nun schickte der Franzose voll Unruhe überall bei uns herum, um zu 
fragen, was der Preuße mache, und ihm zu danken. Leider konnte ich 
den barmherzigen Samariter nicht finden." 
Folgende Erzählung zeugt von der guten Manneszucht im Heere 
und von dem menschenfteundlichen Verhalten vieler Offiziere den Soldaten 
gegenüber. 
Ein sächsischer Ulanenunteroffizier hatte einen Schuß in die Brust 
erhalten. Die Hilfe, welche ihm zwei seiner Kameraden gewähren wollten, 
lehnte er ab, indem er sie bedeutete, sich lieber selbst zu retten, um nicht 
mit ihm in Gefangenschaft zu geraten. Sie brachten ihn aber dennoch 
auf ein Pferd und ritten mü ihm zurück. Unterwegs begegnete den drei
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.