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Beute findest; aber auch die Bedeutung des Sprichwortes
,Reinlichkeit erhält den Leibi verstehe ich jetzt besser als
sonst. “
Der Jüngling senkte beifällig das dunkle Haupt, heftete
die schwarzen Augen auf den Knaben und sprach weiter: „Hüte
dich vor aller Unmäßigkeit im Essen und Trinken, damit
du nicht frühzeitig in das Grab sinkest!“ Der unerfahrene
Knabe konnte die Wahrheit dieser Worte noch nicht ganz
erfassen, darum fragte er schüchtern: „Sind nicht Kriege und
Überschwemmungen bessere Gehilfen?“ „Auch diese stehen in
meinem Dienste,“ antwortete der Tod; „sie arbeiten schnell und
furchtbar; doch hat sie der Schöpfer alles Lebens an Zeit und
Ort gebunden. Die Unmäßigkeit aber führt mir bei Tag und
Nacht aus allen Himmelsgegenden immer neue Opfer zu.“
„Du hast auch eine Seele, mein Kind,“ fuhr der Tod mit
sanfter Stimme fort; „wenn diese verwüstet wird, verwelkt der
Leib alsbald wie die Blume des Feldes. Hast du nie gehört
von dem blassen Neide, der die Gesundheit untergräbt und
gleich der Unmäßigkeit mein treuester Gehilfe ist? Und wie
den Neid, so habe ich jede Leidenschaft, den Haß und
die Feindschaft, die Unkeuschheit und die Habsucht, in meinen
Dienst genommen. — Doch jetzt weißt du genug.“ Bei diesen
Worten verschwand der Tod, um das Werk seiner Gehilfen
zu vollenden.
Gottfried trat nachdenklich in die väterliche Hütte und
faßte noch an demselben Abend einen festen Entschluß. „Ich
will die Gehilfen des Todes meiden und die Gesundheit hüten
wie einen kostbaren Schatz“, sprach er laut vor sich hin. „Darum
will ich vorsichtig sein bei all meinen Arbeiten und Erholungen,
die Reinlichkeit lieben und Mäßigkeit üben mein Leben lang.“
Und Gottfried hielt, was er sich vorgenommen hatte. Deshalb
wurde aus dem fröhlichen Knaben ein kräftiger Jüngling, ein
rüstiger Mann und ein glücklicher Greis. Meister Ehrlich
konnte bis in sein hohes Alter dem täglichen Erwerbe nach¬
gehen, und Gott segnete ihn überdies mit gesunden Kindern
und blühenden Enkeln. Als aber die Zeit, die unvermeid¬
liche Gehilfin des Todes, ihr Werk vollbracht hatte, da er¬
schien abermals der Todesengel. Der ehrwürdige Greis erschrak
nicht; denn der Schmetterling über dem Haupte des Jünglings
erinnerte ihn an die Auferstehung. Der Todesengel sprach
kein Wort, sondern senkte sich leise, leise auf die sterbliche
Hülle und führte die Seele in das himmlische Land, wo ewiges
Leben und ewige Gesundheit wohnt. Herold.
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Allg. Teil.
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