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getrocknet ist. Endlich hat sich die unansehnliche graue Farbe ins schönste
Weiß verwandelt. Das getrocknete Linnen wird zusammengerollt und
wandert nun in die Truhe der Hausfrau oder des fleißigen Töchterleins
oder auch in den Laden des Kaufmanns. Hier kann es gewöhnlich eine
Zeitlang ausruhen von den Mühseligkeiten seines Daseins. Da braucht
das Kind ein Hemd oder ein Bettuch. Die scharfe Schere fährt mitten
durch die Leinwand; die spitze Nadel mit dem langen Faden durchbohrt
die Linnenstücke an tausend Stellen und der Faden verbindet sie zum
Kleidungsstück. Doch auch in seiner neuen Gestalt als leinenes Kleidungs¬
stück stehen dem Flachse noch mancherlei Schicksale bevor.
In den schönen, weißen Linnenkragen oder in das feine, weiße
Schürzchen hat das Kind Schmutzflecke und Tintenkleckse gemacht. Da muß
das Kleidungsstück zur Wäsche ins heiße Wasser, in die scharfe Lauge
und beißende Seife. Hin und her wird es gerieben und gezupft, auf¬
gehängt, ja mit heißen Plätteisen gepeinigt. Bei der Arbeit wird es derb
mitgenommen, bis es endlich so dünn und schlecht geworden ist, daß kein
Stich mehr halten will. Da pfeift auf der Straße ein sonderbarer Mann
sein Stücklein und die Mutter bringt das alte, zerrissene Linnen zum
Lumpensammler.
Nun geht es der Leinwand in ihren alten Tagen noch schlimm. Lange
Zeit hat sie dem Menschen getreulich gedient, nun wird sie in den Lumpen¬
sack gesteckt. Der Sammler hat den Sack gefüllt und wirft ihn auf den
Wagen, wo noch andere Säcke voll Lumpen liegen. Wo geht diese Reise
nun hin? Am brausenden Wasser steht ein Haus mit einem Schaufelrad,
das Tag und Nacht im schäumenden Wasser sich umdreht. Ein furchtbarer
Lärm ist in dem Hause. Das pocht und stampft und poltert ohne Auf¬
hören. Hier werden die Lumpen abgeladen, genau besehen und verkauft.
Klein geschnitten und rein gewaschen, kommen sie in Tröge mit Wasser.
Gewaltige Stampfen gehen in den Trögen aus und nieder. Unten an
den Stampfen sind scharfe Messer, die zerreißen das arme Linnen in
tausend Fäserchen. Aus den alten Kragen und Tüchlein und Schürzen
und Kleidern wird ein weißer, dicker Brei. Geschickte Männer schöpfen
diesen mit großen Formen aus seinem Draht heraus und legen die
dünne Breischicht auf gleich große Stücke Filz. Eine Lage kommt auf
die andere, bis ein hoher Pack entsteht. Dieser wird gepreßt und dann
getrocknet. Aus den alten Kleidern ist ein schönes, weißes Papier ent¬
standen. Auf einem Stück davon ist diese Geschichte erzählt.
Deutsche Fortbildungsblätter.
99. Die Iuckergewimmug.
£>[5 deine Urgroßmutter ein kleines Mädchen war, da gab es nicht
^ jeden Morgen Kaffee mit einem Stück Zucker darin; nur an den
höchsten Feiertagen im Jahre kamen Zucker und Kaffee auf den ^rüh-
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