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auch keine Zähne mehr. Wenn er nun bei Tische saß und den
Löffel kaum halten konnte, schüttete er die Suppe auf das Tisch¬
tuch, und zuweilen floß ihm sogar etwas wieder aus dem Munde.
Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deshalb
mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen setzen, und
sie gaben ihm das Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch
dazu sehr wenig, so daß er sich nicht satt essen konnte.
Da sah er traurig nach dem Tische, und die Augen wur¬
den ihm naß. Einmal auch konnten seine zitternden Hände das
Schüsselchen nicht fest halten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die
junge Frau schalt heftig; der Großvater aber seufzte nur: „Ach,
lieber Gott!" Jetzt kauften sie ihm ein hölzernes Schüsselchen
für ein paar Pfennige, daraus mußte er essen.
Als sie eines Tages bei Tische saßen, trug der kleine Enkel
von vier Jahren auf der Erde einige kleine Bretterslücke zusam¬
men. „Was willst du denn damit machen?" fragte ihn sein
Vater. „Ei," antwortete das Kind, „ich will ein Tröglein machen,
und daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin."
Da sahen sich Vater und Mutter eine Weile stumm an, und
Thränen traten ihnen in die Augen; sie holten sofort den Gro߬
vater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen,
sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.
Brüder Grimm.
64. Ehre das Alter!
Auf einem seiner Feldzüge ward Alexander der Grosse
durch einen häufig fallenden Schnee aufgehalten. Er setzte
sich auf einen erhabenen Platz, der ihm zum Throne diente,
neben ein grosses Feuer. Aber in eben dem Augenblick be¬
merkte er einen macedonischen Soldaten, welcher der Schwäche
des Alters und der Strenge des Winters unterliegen zu müs¬
sen schien. Er überlegte sogleich den Abstand, nicht des
Ranges, sondern des Alters, der sich zwischen ihm und die¬
sem Soldaten befand. — Er stand auf, und die siegreichen
Hände, die das Reich des Darius zerstört hatten, trugen den
vor Kälte erstarrten Greis auf den Sitz hin, welchen er selbst
vorhin eingenommen hatte. „Bei den Persern“ — sagteer
— „ist es ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wird,
sich auf den Thron der Könige zu setzen; aber unter einem
menschlichen Monarchen soll eben diese Handlung dir das
Leben retten!“
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