Object: Die deutsche Urzeit (Teil 1)

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f. Auch die Pflanzen leben; folglich hat auch jede Pflanze eine 
Seele, eine Seele, die ehemals im Menschen war. 
Die Blut nelken, die am F allen stein im Thüringer Wald so massen¬ 
haft wachsen, sind Seelen derer, die der blutgierige Ritter der Falkensteinburg 
ehemals ermordete (Witzschel, Sagen aus Thüringen). Walter Tell fragt 
seinen Vater (III, 2): 
Vater, ist's wahr, daß auf dem Berge bort 
Die Bäume bluten, wenn man einen Streich 
Drauf führte mit der Axt? . . . 
Der Meister Hirt erzählt's. — Die Bäume seien 
Gebannt, sagt er, und wer sie schäbige, 
Dem wachse seine Hanb heraus zum Grabe. 
Vgl. auch die Märchen: Der singende Knochen (Grimm 28), die zwei 
Brüder (Grimm 60), die Goldkinder (Grimm 85). Fontane: Herr 
von Ribbeck (Der flüsternde Birnbaum). 
g. Der von dem Körper getrennten Seele schrieb man die Gabe der 
Weissagung, der Zukunftsverkündigung zu. Das ahnungsvolle 
und furchtsame Gemüt sah und sammelte an den Wesen, in die die ab¬ 
geschiedenen Seelen eingingen, allerhand Zeichen, woran das Kommende 
und Künftige erkennbar sei. Und so entstand nach und nach eine Wissen¬ 
schaft der Anzeichen von der Zukunft, die noch heute für abergläubische 
Gemüter in Dorf und Stadt Bedeutung hat. Seinem Ursprung gemäß 
muß dieser Glaube sich richten auf Leben und Tod, Glück und Unglück. 
Wo ein Licht von selbst verlischt, wo eine Sternschnuppe in der Richtung 
eines Hauses fällt, dahin kommt der Tod, er „verzeigt sich". — Was 
man in den Zwölfnächten träumt, das geht in Erfüllung; da sieht die Braut 
ihren künftigen Liebsten (Bleigießen!) — Wiedergänger verkünden denen, denen 
sie erscheinen, Unglück und Not. — Wenn der Hund in die Erde heult, dann 
brennt's. Eine Katze ober ein Hase, der über den Weg läuft, verkündet Un¬ 
glück; ebenso eine Schafherde zur Linken. Putzt sich bie Katze, bann kommt 
Besuch. Der Ruf bes Käuzchens (Kiwit) bebeutet: Komm mit! Der Aar- 
gauer sagt: 
Wenn dir d'Wiggli schreit, 
Wirsch bald use trait. 
Eine Eule, an das Tor genagelt, hält Tod und Unglück ab. Wer den Kuckuck 
im Frühling zum erstenmal hört, der soll zählen, wievielmal er ruft; denn er 
fürtbet ihm, wielange er noch lebt, einem jungen Mädchen, wann sie Braut wird. 
Kuckucksknecht, 
Sag' mir recht, 
Wieviel Jahr' ich leben soll? 
Belüg' mich nicht, 
Betrüg' mich nicht, 
Sonst bist du der rechte Kuckuck nicht! 
Kuckuck, Kuckuck! (Westfalen.) 
(Böhme, Kinderlieb und Kinderspiel Nr. 696—714.) 
Kuckucksknecht, 
Sag' mir recht. 
Sag' mir's klar. 
Wieviel Jahr', 
Als ich noch eine Jungfrau bin?
	        
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