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313. Greis und Knabe. 
1. Den steilen Waldweg wankt hinan 
mit einer schweren Last ein Greis. 
Gar sauer wirö's dem armen Mann, 
von seiner Stirne rinnt der Schweiß. 
2. Ein rüst'ger Knabe springt daher 
in jugendlichem Ungestüm. 
Laut seufzt der Greis: „Ich kann nicht 
mehr!" 
Das hört der Knabe hinter ihm. 
3. Es will der Alte, müd'und matt, 
sich niederlassen in den Sand, 
als schon der Knab' erfasset hat 
die Bürde mit der kräft'gen Hand. 
4. Auf seine Schultern schwingt er sie, 
und freundlich spricht er: „Lieber Mann, 
das ist für mich ja keine Müh'; 
ich tu' es gern; geht nur voran!" 
5. Die beiden miteinander ziehn 
bis vor des Greises Hüttentür. 
Da legt der Knab' die Bürde hin; 
der Alte spricht: „Hab' Dank dafür! 
6. Und wenn du einst wirst schwach 
und alt, 
Gott wird dirhelfen auch,meinSohn."— 
Der Knabe springt zurück zum Wald; 
im Herzen war sein schönster Lohn. 
K. Enslin. 
314. Erzählung des Hasen. 
Wollt ihr wissen, ihr Kinder, woher ich stamme und wie ich lebe, 
so hört zu, ich will es euch erzählen. 
Draußen aus freiem Felde, nicht weit vom Rande des Gehölzes, 
da ist mein Kämmerchen; mehr gebrauche ich zu meiner Wohnung nicht. 
Ich habe es mir selbst am Boden zurecht gemacht, und ihr glaubt gar 
nicht, wie behaglich es sich darin ruht. Wenn ich von dem vielen 
Herumlaufen müde geworden bin, so lege ich mich in mein Lager, 
ziehe die langen Hinterbeine dicht unter den Leib, strecke die kurzen 
Läufe aus, lege meinen Kopf darauf, drücke meine langen Löffel an 
den Kopf, und nun schlafe ich ein. Freilich kann ich Beim Schlafen 
nicht wie ihr die Augen schließen; denn meine Lider sind gar zu kurz 
und wollen die Augen nicht ganz bedecken. Aber es schläft sich auch 
so ganz gut. 
Ei, das ist oft ein lustiges Leben draußen auf freier Flur, wo ich 
mit so vielen Geschwistern und Vettern zusammenlebe! Kaum ist früh¬ 
morgens die Sonne aufgegangen, so tummeln wir uns schon miteinander 
herum und machen nmntere Spiele. Bald üben wir uns im Springen, 
bald spielen wir Kreisläufen oder wälzen uns fröhlich am Boden hin. 
Aber der böse Fuchs läßt uns dabei nicht in Ruhe. Der alte Stören¬ 
fried schleicht sich ungesehen heran und will sich einen von uns erhaschen. 
Doch merken die klügsten von uns bald, daß Gefahr droht; sie stellen 
sich rasch auf die Hinterbeine, richten sich hoch auf und spitzen die 
Ohren. Wenn sie den Fuchs wittern, stoßen sie ein Wchgeschrei aus. 
Wie schnell laufen wir alle jetzt in vollen Sprüngen kreuz und quer 
über das Feld, damit der arge, listige Räuber uns nicht packt! 
Wenn die Sonne höher steigt und es dem Mittag zugeht, so 
mögen wir nicht mehr laufen; wir ruhen aus, bis der Abend kommt 
und es kühler wird. Nun spazieren wir in der Abendsonne oder bei 
Mondenschein auf die Felder und lassen es uns dort trefflich schmecken. 
Leckermäulchen sind wir nicht; es gibt fast nichts Grünes auf Acker 
und Wiese, was wir nicht essen. Das schmeckt!
	        
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