II. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
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Lunte Gläser und feine Leinwand aus Alexandrien, Wein und Austern der
griechischen Inseln, der Käse der Alpen und die Seefische des schwarzen
Meeres. In Magazinen lagerten heilsame Kräuter aus Sicilien und Afrika,
arabische Spezereien und Wohlgerüche, die Perle vom Grund des roten
Meeres und der Diamant aus indischen Gruben, riesige Blöcke bunten
Marmors, in den Gebirgen Kleinasiens gebrochen und schön gemaserte
Scheiben kostbaren Holzes am Atlas gewachsen. „Zu euch," heißt es in
einer griechischen Lobrede auf Rom, „kommt aus allen Ländern und allen
Meeren, was die Jahreszeiten hervorbringen, und was alle Zonen tragen,
was Flüsse und Seeen und was die Arbeit der Hellenen und Barbaren er¬
zeugt. Kurz alles kommt hier zusammen, was Handel und Schiffahrt
bringen, was der Ackerbau gewinnt, der Bergbau zu Tage fördert, was
alle Künste, so viele es deren giebt, schaffen, alles was auf der Erde wächst."
Überhaupt empfand man in Rom, daß man im Mittelpunkte eines
Weltreichs war. Wie von einer hohen Warte übersah man hier die ganze
Erde. Bon ihren fernsten Grenzen kamen auf allen Straßen ununter¬
brochen Nachrichten, „wie von Vögeln getragen nach dem Sitz der Welt¬
herrschaft." War in Oberägypten Regen gefallen, oder hatte in Kleinasien
die Erde gebebt, waren die Legionen am Rhein aufrührerisch gewesen, oder
hatte der parthische Hof feine Stellung gegen Rom verändert; man sprach
davon wenige Tage nachher auf dem Forum und im Marsfelde, bei Gast¬
mählern und geselligen Zusammenkünften. War irgendwo eine unerhörte
Naturseltenheit entdeckt worden, so wurde sie an den Kaiser gesandt und
in Rom öffentlich ausgestellt. Künstler kamen aus allen Ländern, um
ihre Kunst und ihre Werke zu zeigen, oder sich um den Kranz in den
großen römischen Wettkämpfen zu bewerben, Dichter und Redner, Philo¬
sophen und Gelehrte, um sich hier öffentlich hören zu lasten. Die Fähigsten
und Hochstrebendsten aus der Jugend aller Länder drängten sich aus der
provinziellen Verborgenheit nach dem Glanz und Lichte der Weltstadt, die
dem Ehrgeiz das weiteste Feld eröffnete, die zu Ausbildung und Studium,
wie zu Erholung und Genuß die großartigsten Anstalten bot. Die unver¬
gleichlich prächtigen und großartigen Thermen standen auch dem Geringsten
zur Erholung und Ergötzung offen, wo zu jeder Jahreszeit Bäder aller
Art vom Schwimmbassin bis zum Dampfbade für Tausende bereit und
zu Leibesübungen, zur Unterhaltung und Erfrischung Räume von mehr als
königlichem Glanze bestimmt waren. Alle Wunder aber, welche die Wun¬
derstadt in sich schloß, wurden noch überboten durch die Schauspiele auf
der Bühne, im Circus, in der Arena.
Doch das größte unter allen Schauspielen Roms war seine Bevölke¬
rung, jenes Menschengewühl, das sich täglich ohne Unterlaß durch die Straßen
wälzte gleich dem Strom eines stürzenden Wassers. Je mehr Rom der
Mittelpunkt der Welt wurde, desto mehr strömten hier alle Nationen zu¬
sammen. Eine eigentliche Masteneinwanderung begann erst seit dem Unter¬
gang der Republik, die seine Bevölkerung mit den Bestandteilen aller Län¬
der der Welt mischte. Immer mehr ward Rom ein „Versammlungsort
des Erdkreises", eine „Wellherberge". Noch bunter ward das Gemisch
Ahrens , Lehr- und Lesebuch für Fortbildungsschulen. 7