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II. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
schanzte Städte und befestigte Häuser der Reisigen erhoben sich jetzt überall
auf deutschem Boden, nicht nur an Rhein und Donau, in Franken,
Schwaben und Bayern, auch im alten Sachsenland und in den Ostmarken
gegen Slaven und Ungarn.
Und die Städte waren in den letzten Jahrhunderten wie über Nacht
entstanden, daß man bei vielen nicht zu sagen wußte, wann sie begonnen
hatten; der größte Kulturfortschritt vollzog sich leise, doch im Zwang der
Stunde und die Zeitgenossen, welche daran arbeiteten, wußten wenig, wie
unermeßlich der Segen war, den sie dadurch ihren Enkeln bereiteten.
Und wer von der Erscheinung zurückblickt auf ihren Grund, der vermag
gerade hier die geheimnißvolle Arbeit schöpferischer Kraft wie in einer Werkstätte
zu belauschen, und ehrfürchtig zu erkennen, wie dem Menschengeschlecht Unglück
in Glück und Verderb in den edelsten Fortschritt umgewandelt wird.
Es war ein Unglück für die Deutschen, daß die Zahl der freien
Landleute sich seit der Völkerwanderung mit reißender Schnelligkeit ver¬
ringerte, die Zahl der Dienstpflichtigen und Unfreien sich unaufhörlich ver¬
mehrte ; es war traurig, daß alle Gewalten, welche das Leben der Deutschen
regierten, um die Wette dazu beitrugen: die Könige und ihre Beamten,
welche zu vornehmen Gebietern des Volkes geworden waren; die christliche
Kirche und ihre Bildung, welche den Vornehmen stärker vom Volke schied;
nicht weniger endlich das geprägte Silber und Gold, welches Reiche erhob
und Arme niederdrückte.
Aber durch dieselben Gewalten wurde auch der Fortschritt gewonnen,
auf einem Umwege, doch darum nicht minder glorreich. Zuerst half eine
alte Vorschrift der Kirche, aus romanischen Ländern nach Deutschland ge¬
bracht, daß Bistümer nur in Städten angelegt werden sollten. Wo der
Dom eines Bistums sich auf deutschem Grunde erhob, da mußte die
Umgebung mit Menschen gefüllt und gegen die Landschaft abgeschlossen
werden. Der Bischof oder Reichsabt zog an seinen Herrensitz seine große
Familie von kunstfertigen Unfreien; der Heilige, dessen Gebeine in der
Kirche Wunder thaten, sammelte an seinen Festtagen große Mengen Volkes
in dem Stadtraume; auf den freien Plätzen erhoben sich die Buden der
Kaufleute; sehr früh erwarben die geistlichen Herren für die Waren, die
zu der großen Messe geführt wurden, auf der Straße des Königs Schutz
und Zollfreiheit. Die Landschaft gewöhnte sich, in des Bischofs oder
Abtes Stadt zu pilgern, in regem Marktgewühl zu handeln. Zumal wo
Deutsche gegen Slaven, Avaren und Ungarn kämpften, auf dein eroberten
Grenzgebiet an der Elbe und Donau, erwiesen sich die Kirche des Heili¬
gen und die Stadtmauer als das einzige Mittel, die Umgegend dauernd
zu behaupten. So wurden Bremen, Hamkurrg, Lübeck, Magdeburg, Merse¬
burg, Naumburg, Zeitz, Quedlinburg, Halberstadt, Hildesheim, Fulda,
Bamberg, Salzburg und viele andere Städte gegründet.
Dasselbe geschah, wo ein König oder großer Landesherr auf seinem
Wirtschaftshof einen Palast, die „Pfalz" gebaut hatte; auch solche Orte
erhielten schnell weiten Umfang, denn dorthin forderte der Gebieter sein
Heer und die Gewaltigen seines Reiches. Herren und Mannschaft kamen