I. Lebensbilder.
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samkeit und der Wert, das Glück oder Unglück unseres Lebens gebauet.
Leben lernen heißt also, seinen Neigungen eine gute Richtung geben, seine
Grundsätze reinigen, befestigen, stärken; seine Vorsätze läutern und tapfer
begründen, nicht mit dem Kopfe allein, sondern auch mit dem Herzen exi¬
stieren gegen Eltern, Freunde, Lehrer, Mitschüler, Bekannte, Fremde, sich
Sitten erwerben, anständige, frohe Sitten, liebenswert machend vor Gott und
den Menschen. Leben lernen heißt: die Stunden des Tages wohl ein¬
teilen, sich Ordnung im Geschäft geben und sie mit strenger Munterkeit
erhalten, den Ergötzlichkeiten, dem Schlaf, der Trägheit nicht mehr Zeit
einräumen als ihr gebühret; sich Vorschriften machen, wodurch man seine
Schwäche überwindet, seine eigentümliche Schwäche, die niemand besser als
wir selbst kennen, die zu überwinden uns am schwersten wird und die
die Eigenliebe so gern in Schutz nimmt; bestehe diese, worin sie wolle;
sei es Hang zu Stolz, zu thörichter Einbildung von sich selbst, an der so
viel junge Leute unseres Zeitalters krank liegen, mithin zu Geringschätzung
und Verachtung anderer; oder Neigung zu Haß, zu Zorn, zu Menschen¬
feindschaft, oder zu Verzagtheit, zu Kleinmut, am meisten zu Üppigkeit,
zu Tändelei oder Trägheit. Durch alle diese Neigungen, wenn sie über¬
hand nehmen, verliert, vertändelt, entnervt, vergällt der Jüngling sein
Leben unv schafft sich keine andere Aussicht, als sich und anderen zur Last
zu werden, das Leben einst selbst als eine Bürde zu tragen oder zu ver¬
geuden und zu verlieren. Von allen diesen Feindinnen des Lebens hinweg,
ihr Jünglinge! — Lernt leben, gesund, würdig und glücklich leben!
Herder.
2. Breite und Tiefe.
Es glänzen Viele in der Welt,
Sie wissen von Allem zu sagen,
Und wo was reizet und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen;
Man dächte, hört man sie reden laut,
Sie hätten wirklich erobert die Braut.
Doch geh'n sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren.
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt' gern' was Großes geboren:
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Der Stamm erhebt sich in die Luft
Mit üppig prangenden Zweigen;
Die Blätter glänzen und hauchen Duft,
Doch können sie Früchte nicht zeugen;
Der Kern allein im schmalen Raum
Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.
Schiller.
3. Vom Fortschreiten mit dem Zeitalter.
Wir leben in der Zeit, folglich müssen wir auch mit ihr und für sie
leben und leben lernen. Da sich die Zeit stets verändert und aus ihrem
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