I. Lebensbilder.
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Wenn es dir übel geht, nimm es für gut nur immer;
Wenn du es übel nimmst, so geht es dir noch schlimmer.
Und wenn der Freund dich kränkt, verzeih's ihm und versteh:
Es ist ihm selbst nicht wohl, sonst that er dir nicht weh.
Und kränkt die Liebe dich, sei dir's zur Lieb' ein Sporn,
Daß du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn.
10. Die Langeweile ein Gespenst.
Weiß wohl, lieber Leser, daß du nicht mehr an Gespenster glaubst, wie
ich auch nicht. Es giebt aber ein Gespenst, daß ich oft gesehen habe bei
Leuten, die auf harten Bänken und bei Leuten, die auf weichen Polstern
sitzen. Ich habe es am hellen Tag, bei einsamer Öllampe und beim
Scheine von hundert Wachskerzen gesehen.
Du kennst die Sage, daß, wenn jemand gewaltsam umgebracht worden
ist, fein Geist als Gespenst umwandle. Biele Menschen schlagen die Zeit
gewaltsam tot durch Nichtsthun oder dadurch, daß sie etwas treiben, was
nicht viel mehr als Nichtsthun ist und da kommt denn das Gespenst der
gemordeten Zeit, die Langeweile, und setzt sich den Mördern, wo sie
sind, auf den Nacken; es macht kein Geräusch, es macht nur gähnen. Willst
du das Gespenst von dir bannen, mußt du immer etwas Rechtes thun
oder denken. Berthold Auerbach.
11. Di-. Christian Ludwig Heim.
Heim mochte eben so vergnügt in die Hütten der Armen kriechen,
als in die Paläste der Reichen gehen. Darum war er auch ein Liebling
des Volks. Einmal zu Pferde sich durch dichte Haufen drängend und
einer Illumination zusehend, verwandelte sich der laut gewordene Unwille
über den kecken Reiter, den man schon vom Pferde reißen wollte, in ein
jubelndes Geschrei, sobald man den Vater Heim erkannte. Darum weil
er im Volke und für dasselbe lebte, hatte er in seinem ganzen Sinn und
Wesen etwas Freies und Kurzabgebrochenes, was ihm, dem die scherzhafte
Laune zur anderen Natur geworden, auch dann nicht verließ, wenn er mit
den höheren und höchsten Ständen umging. Er war Leibarzt der Prin¬
zessin Amalie, der Königin der Niederlande und des Kurfürsten von Hessen
während ihrer Anwesenheit in Berlin, auch der Prinzessin Ferdinand.
Diese hohe Frau hatte einen vortrefflichen, biedern, gutmütigen Charakter;
sie und ihr Hof aber hatten noch die Färbung von der Hofhaltung Fried¬
richs des Großen, der alle Leute „Er" nannte. Es kam folgender charakteri¬
sierender Auftritt vor. Die Prinzessin sitzt in einem prächtigen Audienz¬
saale auf einem Sopha und besieht durch ein Augenglas von der Fußsohle
bis zum Scheitel den geforderten, vorgelassenen und eingeführten Dr. Heim.
„Tret' Er näher!" spricht sie und fährt dann fort: „Ich höre von seiner
Geschicklichkeit und von seiner großen und glücklichen Praxis sehr viel
Rühmliches. Ich bin darum entschlossen, ihn zu meinem Leibarzt zu er¬
nennen; solches habe ich ihm kund thun wollen." — „Ew. königlichen Ho-