Full text: Lehr- und Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und Fachschulen sowie zur Selbstbelehrung

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I. Lebensbilder. 
zuzuschauen. Die Jahreszeit war indessen so mild und beständig, daß er lange ver¬ 
gebens auf die Erfüllung dieses Lieblingswunsches harren mußte. 
Der Sommer neigte sich dem Herbste zu, und die gewaltigen Stürme der Tag- 
und Nachtgleiche begannen ihre Vorboten zu senden. Wistanleys Augen belebten sich 
von einem inneren Feuer. Höher rollten die Wogen, gräßlich pfiff der Sturm, man 
hörte von Unglücksfällen an der Küste; Wistanley schien dies alles nur Kleinigkeit; 
er erwartete einen furchtbaren Kampf und war gewiß, daß er nicht ausblieb. Endlich 
erschien der ersehnte Augenblick. Nachmittags schon lagerte sich tiefe Nacht rings 
umher; der Wind heulte seltsame Melodieen, und tief mitten im Meere vernahm man 
ein Brüllen, wie von losgebrannten Batterieen. Die See ging hoch, und der weiße 
Schaum, der an den Strand trieb, zeigte an, welche furchtbaren Wogenberge hoch 
oben im Meere zu jeder Sekunde zerschellten. — Flammenden Blickes stand Wistanley 
am Ufer. Der weiße Turm ragte aus der Brandung, die zwischen den Pfeiler¬ 
öffnungen hindnrchströmte; von dem hohen Fundamente war nichts mehr zu sehen. 
„Heute soll sich seine Festigkeit und Nützlichkeit zum ersten Male bewähren." rief der 
Erbauer; „ich selbst will hinüber, um die Lampen in der Kuppel anzuzünden." Man 
bemerkte ihm, es scheine, als ob der Turm hin und herschwanke wie der Mast eines 
Fischerkahns. „Narrheit!" rief er, „das macht der Wellentanz!" Plötzlich schrie man, 
der Turm sei verschlungen; denn die Wellen hatten ihn ganz bedeckt. Da erbleichte 
Wistanley, aber gleich lächelte er wieder, denn wie ein badender Riese sprang der Bau 
aus dem Gesicht empor: die Wellen hatten ihn wohl auf einen Augenblick überragen 
können, aber seine Festigkeit trotzte. „Sie haben ihm die Kuppel abgespült, damit 
die Lampen besser glänzen," rief Wistanley und stieg in ein Boot. 
Mit Gefahr setzte er zum Turme über, und die versammelte Menge blickte ihm 
nach und stand so lange, bis die Lotsen heil und glücklich zurückgekehrt waren; dann 
sah man bald darauf die Lampen im Turme leuchten, die der mutvolle Sonderling 
mit eigener Hand anzündete. Trotz des wütenden Orkans blieben noch viele Stunden 
die Leute auf dem Platze, um nach Eddystone zu schauen, und sie zerstreuten sich in 
der angenehmen Hoffnung, am andern Tage eine recht lebhafte Schilderung ans dem 
Munde des seltsamen Wagehalses zu vernehmen. Bis dahin hatte noch niemand 
auch nur dem Gedanken Raum gegeben, auf jenem Felsen eine Nacht zu verweilen, 
so fürchterlich war selbst bei ruhigem Wetter die Gewalt der Brandung. — Gegen 
Morgen, als die Wut des Sturmes noch immer zunahm, sahen die Wächter plötz¬ 
lich die Lichtlein auf Eddystone verschwinden, und als es Tag ward und die See 
ruhiger ging, sah man zwar die Klippe wieder deutlich, wie sonst von einer Unzahl 
Möwen umschwirrt, aber von dem stolzen Gebäude, woran seit so vielen Monaten ge¬ 
baut worden war, erblickte man keine Spur. Man fragte sich halb überrascht, halb 
zweifelnd entsetzt, ob das ganze nur ein Traum gewesen. Es war aber die er¬ 
schütterndste Wahrheit: Wistanley und sein Leuchtturm lagen am Grunde des Meeres 
begraben. 
Für immer schien nun das Projekt eines solchen Leuchtturms auf Eddystone auf¬ 
gegeben, als ein reicher Seidenhändler von London mit Sachverständigen nach Ply¬ 
mouth kam, um sich von der Örtlichleit zu unterrichten und den Bau, wenn es an¬ 
ginge, zu wagen. Der Mann hieß Rndyart. Man überzeugte sich, daß das Unglück 
Wistanleys hauptsächlich durch die Form, die man dem Bau gegeben, und durch die 
Sprödigkeit des Materials herbeigeführt worden sei. Die vier Ecken boten den Wellen 
eben so viele günstige Angriffspunkte; daher kam man überein, den neuen Bau rund 
auszuführen. Die' Eiche ist rund und trotzt dem Sturme, und deshalb sollte das 
Gebäude seine Gestalt von der Eiche entlehnen. Um die Sprödigkeit des Steines zu 
mildern, wurde derselbe mit starken Bohlen bekleidet, deren Elastizität den Wellen nach¬ 
gab und den Grundbau schützte. Man ging nach dieser Ansicht ans Werk und hatte 
die Freude, den Leuchtturm ohne sonderliches Hindernis aufzuführen. Kaum aber 
war er vollendet, als der Blitz einschlug und die Flammen ihn verzehrten. Ein 
Gebäude, das dem Untergange durch Wasser ausgesetzt war, durch Feuer untergehen 
zu sehen: — es schien, als hätten sich die Elemente verschworen, keinen Leuchtturm 
auf Eddystone bestehen zu lassen. 
Ein muttger Mann, der Oberst Smeaton, ließ sich jedoch hierdurch nicht schrecken.
	        
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