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2. Es ist ein Mittel, Frische und Regsamkeit in die
Klasse zu bringe n. Bei starker Schiilerzahl und unter gewissen
Witterungseinflüssen kommt in dieselbe beim Lesen nicht selten ein Zu¬
stand der Schlaffheit und Hängigkeit, welcher der ärgste Feind des
Lernens ist. In solchen Fällen ist es immer von großer Wirkung,
wenn ein erfrischender Wechsel zwischen Einzellesen und Chorlesen ver¬
anlaßt wird.
3. Es ist ein Mittel, die Schüchternheit der Schüler beim
Einzellesen zu überwinden. Die Aufgabe, welche dem einzelnen
Kinde zumutet, beim Lesen seine Stimme kraftvoll vor der Klasse ver¬
nehmen zu lassen, ist nicht klein. Nicht wenige Schüler setzen allen
Einwirkungen des Lehrers nach dieser Seite hin den Widerstand schwäch-
licher Schüchternheit entgegen. Was in solchen Fällen oft kein anderes
Mittel bewirkt, das wird erreicht, indem der Schüler zunächst in Ge¬
meinsamkeit mit anderen das thun lernt, was von ihm später als
Einzelleistung gefordert wird.
4. Es ist ein Mittel, die beim Einzel lesen gewonnenen
Erfolge für das schöne Lesen zu erhöhen. Die Genieinsamkeit
bei einer Arbeit ist für den Einzelnen ein bewährtes Mittel, ihn zu
williger Fügung in die Gesetze und Ordnungen der Arbeit zu ver¬
anlassen. Beim Leseunterricht ist dies von besonderer Wichtigkeit. Um
den Einzelnen aus dem Schlendrian herauszubringen, wird es oft nötig,
die Aussprache der Laute und die Betonung der einzelnen Satzglieder
sehr stark hervortreten zu lassen. Dadurch gewöhnen sich die Kinder¬
leicht an ein übermäßiges Schreien. Wahre Schönheit des Lesens aber
verlangt Maßhalten auch in diesen Dingen. Und die Rückkehr zu dem
richtigen Maße im Leseausdrnck wird dem einzelnen Schüler erleichtert,
wenn er seinen Leseton so an dem Leseton anderer Schüler messen und
regulieren kann, wie dies beim Chorlesen der Fall ist.
Hierbei muß noch bemerkt werden, daß das Chorlesen diesen Wert
nur bei einer bedachtsamen Anwendung hat. Giebt sich bei
demselben ein roher Ton und ein ungeordnetes Wesen zu erkennen, so
steht es gewiß mit der Schnlzucht nicht gut. Werden durch das Chor-
lesen die oben erwähnten Resultate erstrebt, so muß ihm eine sorg¬
fältige Anwendung des Einzellesens vorangehen.