Diogenes und der junge Kriton. 179
41. Diogenes und der junge Kriton.
Zu Korinth lebte vor Zeiten ein Mann, der hieß
Diogenes, ein höchst merkwürdiger Sonderling! —
Er lebte ganz außerordentlich mäßig; kehrte sich an
keine Gebräuche; handelte dadurch manchmal wider
den Wohlstand; that aber übrigens sehr Vielen Gu¬
tes und Keinem Etwas zu Leide.
Einstmals begegnete ihm Kriton, ein junger Mensch,
den er liebte, weil er ein guter, unverderbterJüngling
war. „Wo willst du hin, Kriton?" fragte Dioge¬
nes; „du bist ja so geschmückt!"
„Zum Klimas," antwortete der Jüngling, „Kli-
nias giebt diesen Abend seinen Freunden ein Gastmahl;
er hat auch mich dazu eingeladen; es wird da herr¬
lich hergehen.
Diogenes. Das glaube ich wohl, denn Kli¬
mas ist reich und üppig. Aber du mußt nicht hingehen.
Kriton. Warum nicht, lieber Diogenes?
Diogenes. Weil du sonst so lasterhaft wirst,
als Klimas selbst ist.
Kriton. Wie so, Diogenes? Warum sollte ich
nicht einmal recht vergnügt sein?
Diogenes. Das sollst du nach meinem Wunsche
immer sein; nur nicht auf diese Weise. Denn das sind
keine wahren Vergnügungen, an die wir nachher mit
Reue denken müssen. Klimas und seine Gesellschaft sind
für dich gefährlich.
Kriton. Fürchte Nichts, Diogenes! Ich will,
wie ich dir sagte, nur vergnügt sein. Verführen wer-
de ich mich nicht lassen.
Diogenes. Aber das steht nicht mehr in dei¬
ner Gewalt, wenn du nicht die Gelegenheit dazu ver¬
meidest. Das Laster ist anfangs süß, und du bist zu
jung, als dass du so mächtigen Versuchungen wider¬
stehen könntest. Thue mir den Gefallen und gehe wie¬
der zu deinen Eltern zurück.
Kriton. Ich kann nicht, Diogenes; ich habe
einmal mein Wort gegeben.
Diogenes. Daran hast du freilich nicht wohl
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