Die Fächer.
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in seinem „Führer durch die Strömungen der Pädagogik?) Man
könnte hinzusetzen, daß heute unter der Vorherrschaft der Kultur¬
geschichte in der Geschichtswissenschaft kulturgeschichtliche Belehrungen
als eine Hauptaufgabe des Geschichtsunterrichts der Volksschule
gelten. Hier finden wir also jenes Einarbeiten auf den Zusammen¬
hang des Unterrichts mit der Wissenschaft, das bis zur Entlehnung
der Unterrichtsziele aus der Fachwissenschaft geht.
Nichts ist natürlicher als diese Neigung der Schule, möchte man
sagen. Der Unterricht sichert sich damit die Wahrheit und Richtig¬
keit dessen, was er lehrt, und gibt erst damit jene Beruhigung, die
wir Deutsche nun einmal in der Gelehrsamkeit finden. Aber gerade
dieser Drang nach Wissenschaftlichkeit ist mit schuld daran, daß unser
Geschichtsunterricht für die staatsbürgerliche Erziehung heute das
nicht leistet, was man von ihm zu erwarten berechtigt wäre.
Seit wir verlernt haben, jede „Reform" eines Unterrichtsfaches
vom Standpunkte des allgemeinen Erziehungszieles zu beurteilen, seit
wir im Geschichtsunterrichte im besondern uns von der Geschichts¬
wissenschaft Stoffziel und Stoffauswahl vorschreiben lassen, haben
wir nicht nur den raschen Wechsel der Reformvorschläge, sondern auch
jenes Äbermaß von Stoffmaffen, unter dem alles seufzt.
Da ist bald dies zu berücksichtigen, bald jenes. Die kultur¬
geschichtlichen Verhältnisse jedes Zeitabschnitts müssen dargestellt
werden, denn „man hält heute viel auf Kulturgeschichte". Die politischen
Verhältnisse sind nicht zu entbehren; sie geben dem Ganzen erst
Atem und Leben. Zusammenhänge sollen aufgedeckt, die leitenden
Gedanken der einzelnen Epochen müssen herausgearbeitet werden.
Das Wirken der einzelnen Herrscher aus der neueren Geschichte will dar¬
gestellt sein. Die Anforderungen mehren sich von Tag zu Tag. Scherer
verlangt in dem oben genannten „Führer": „Der Lehrer muß voll
und ganz auf dem Boden der modernen Geschichtsauffassung und
Geschichtsdarstellung stehen" (a. a. O.). Der Volksschullehrer, der in
jedem Fache auf dem Boden wissenschaftlicher Auffassung stehen soll,
— kein Mensch sagt ihm, wie das zu machen sei, woher er die Zeit
nehmen soll; vom Lehrer an höheren Schulen verlangt man wenigstens
nur auf 2 Fachgebieten Spezialkenntnisse, — wird sich vielleicht auf das
geschichtliche Fach stürzen, die Einzelkenntnisse, die er bei dem Mangel
an genügender Zeit zusammenraffen kann, wird er auch in seinem Anter-
*) Ä. Scherer, Führer durch die Strömungen auf dem Gebiete der
Pädagogik und ihrer Hilfswissenschaften. 4. Lest, Geschichtsunterricht, Leipzig,
Ernst Wunderlich 1908, S. 68.