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Grundprobleme.
rungen. Doch sind es auch hier die Persönlichkeiten gewesen,
die die Welt des Geistes und der Handlungen beherrscht haben.
In großen schritten gelangen wir zu den stürmen der Völker¬
wanderung und den bunten Wirrnissen des Mittelalters. Da
herrschte in der Hauptsache die Menge, die Vielheit, die Masse.
Erst in der Renaissance gelangt die Ausbildung der Individualität
zu feiner und herrlicher Blüte. Nun erst findet der Mensch sich
selbst wieder: in Religion und Kunst, in Staatsleben und Wissen¬
schaft, auch in der Innerlichkeit inacht die Individualität sieg¬
reich ihre Rechte geltend. Die Entdeckung neuer Welten jen¬
seits des Ozeans und die innerhalb der eigenen Seele gingen
fast gleichzeitig vor sich. Nunmehr aber befestigt sich eine der
härtesten Gemeinschaften, der moderne Staat. Es geschieht das
meist mittels des seinerzeit durchaus notwendigen Absolutismus,
und wiederum wechselt das Bild, das das Verhältnis zwischen
Individuum und Gemeinschaft bietet. Es beschränkt späterhin
der aufgeklärte Despotismus die Einzelpersönlichkeit in unerträg¬
licher weise, legt sie an Ketten und demütigt sie. Hier schafft
Wandel die erste französische Revolution, die auch die veralteten
Staatsverfassungen in ganz Europa bricht. Sie hat aber die
Linzelpersönlichkeit nicht sofort und nicht endgültig befreit. Denn
an die Stelle des unbeschränkten Monarchen tritt der allmächtige
Staat, und erst allmählich erwirbt sich auch ihm gegenüber das
Individuum eigene Rechte. Seitdem ein beständiges Ringen
zwischen beiden; vorläufig blieb Sieger der Staat. Freilich
führte die Übertreibung des Staatsbegriffes bald zu einer Ver¬
stiegenheit des Individualismus, philosophisch am schärfsten aus¬
geprägt in dem Einzigen des Max Stirner und in dem Über¬
menschen Nietzsches, politisch in der hirnverbrannten Idee des
Anarchismus. Dieser will keine rechtliche Herrschaft dulden und
anerkennt nur die Gesetze des eigenen Ich. Doch auf der anderen
Seite, gleichsam als Gegengewicht, entsteht seit dem zweiten
Drittel des ^9. Jahrhunderts die moderne Arbeiterbewegung und
der Sozialismus. Die Herrschaft der Vielen, Gleichartigen soll
anheben; die Idee des größtmöglichen schablonenhaften Glücks
für alle soll verwirklicht werden. Es treibt die Bewegung bis
zum Staatssozialismus, der das Individuum nicht seiner selbst
willen gelten läßt, sondern nur als Glied der Gemeinschaft.
Die scharfen Gegensätze zwischen Einzelwesen und Staat sucht
dieser aber gerade in jüngster Zeit zu mildern durch immer