Full text: [Untere Lehrstufe, [Schülerband]] (Untere Lehrstufe, [Schülerband])

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V. Schwänke. 
gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser 
so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen 30) zum Gruß 
geschickt3>). I. P. Hebel. 
54. Herr von Mnnchyausen erzählt'). 
Ich ritt weiter, bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen2). Nirgends 
war ein Dorf zu hören nocb zu sehen. Das ganze Land lag unter Schnee, 
und ick wußte weder Weg noch Steg. 
Des Reitens müde stieg ich endlich ab und band mein Pferd an eine 
Art von spitzem Baumstaken3), der über dem Schnee hervorragte. Zur 
Sicherheit nahm ich meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit 
davon in den Schnee nieder und that ein so gesundes Schläfchen, daß mir 
die Augen nicht eher wieder aufgiengen, als bis es heller lichter Tag war. 
Wie groß war aber mein Erstaunen, als ich mitten in einem Dorfe auf 
dem Kirchhofe lag! Mein Pferd war nirgends zu sehen; doch hörte ich's 
bald daraus irgend wo über mir wiehern. Als ich nun empor sah, so 
wurve ich gewahr^), daß es an den Wetterhahn des Kirchturms gebunden 
war und von da heruntcrhieng. Nun wußte ich sogleich, wie ich dran war. 
Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneit gewesen; das 
Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt3); ich war im Schlaf nach und nach, 
so wie der Schnee zusammengeschmolzen war, ganz sanft herabgesunken; 
und was ich in der Dunkelheit für den Stumpf eines Bäumchens, der über 
dem Schnee hervorragte, gehalten, und daran mein Pferd gebunden hatte, 
das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturms gewesen. 
Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Pistolen, 
schoß nach dem Halfter6), kam glücklich auf die Art wieder zu meinem 
Pferde und verfolgte meine Reise. 
Hierauf gieng alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es eben nicht 
Mode?) ist, des Winters zu Pferde zu reisen. Wie es nun immer meine 
Maxime 8) ist, mich nach dem bekannten: ländlich, sittlich 9) zu richten, so 
nahm ich dort einen kleinen Rennschlitten auf ein einzelnes Pferd und fuhr 
wohlgemut auf St. Petersburg los. 
Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Esthland oder in Jngerman- 
land 10) war, soviel aber besinne ich mich noch wohl, es war mitten in einem 
fürchterlichen Walde, als ich einen entsetzlichen Wolf mit aller Schnelligkeit 
des gefräßigsten Winterhungers hinter mich") ansetzen sah. Er holte mich 
bald ein, und es war schlechterdings") unmöglich, ihm zu entkommen. 
Mechanisch13) legte ich mich platt in den Schlitten nieder und ließ mein 
Pferd zu unserm beiderseitigen Besten ganz allein agieren"). Was ich 
zwar vermutete, aber kaum zu hoffen und zu erwarten wagte, das geschah 
gleich nachher. Der Wolf bekümmerte sich nicht im mindesten um meine 
Wenigkeit15), sondern sprang über mich hinweg, fiel wütend auf das Pferd, 
riß ab und verschlang auf einmal den ganzen Hinterteil des armen Tieres,
	        
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