Entstehung der Ehe.
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entwicklung der Menschen aus niedrigen „tierischen" Anfängen an,
so hat die Behauptung, daß das Geschlechtsleben der Menschen
sich auf einer niedrigen Stufe, auf tierischem Niveau befunden
haben mußte, große Wahrscheinlichkeit für sich, aber auch nicht
mehr. Denn mit gutem Recht hat man darauf hingewiesen, daß
ein Zustand vollständiger Geschlechtsgemeinschaft für
kein Volk nachweisbar ist. Doch muß man beachten, daß von
einem vollgültigen Beweise mit Rücksicht darauf, daß es sich um
vorhistorische Tatsachen handelt, kaum die Rede sein kann.
Schon das Vorhandensein einer größeren Gruppe von Anzeichen
muß hier zur Bildung einer wissenschaftlichen Aberzeugung ge¬
nügen.
Aus dem mehr oder minder wahrscheinlichen Zustande des
unterschiedslosen Geschlechtsverkehrs erhebt sich die Ehe zunächst
in der Form, daß ein Mann mit mehreren Frauen (Polygamie
oderVielweiberei) oder daß eine Frau mit mehreren Männern
(Polyandrie oder Vielmännerei) Verkehr hält. Letztere
kommt besonders bei sehr armen, erstere bei reichen oder wenig¬
stens wohlhabenden Völkern vor und findet sich nachweisbar
bei allen orientalischen Stämmen. Zn Deutschland kam die
Polygamie noch zur Zeit der Karolinger vor. Die Merowinger
hatten einen förmlichen Harem. Noch Karl der Große hat eine
ganze Reihe von Nebenfrauen gehabt, wovon er ganz unbe¬
fangen spricht. Zur selben Zeit kommt die Polygamie auch noch
in Großbritannien vor. Zn Frankreich besteht sie bis ins J3. Zahr-
hundert hinein. Nach dem zojährigen Kriege war die Poly¬
gamie in Deutschland sogar behördlich gestattet.
Die Einteilung der Ehe in endogamische und exogamische
weist darauf hin, daß Ehen entweder nur innerhalb eines Stam¬
mes oder Geschlechtes geschlossen werden dürfen (oder innerhalb
eines örtlichen Bezirkes) oder daß Exogamie vorherrscht, wo der
umgekehrte Fall Sitte und Recht ist. Zedenfalls hat die Vor¬
schrift der Lndogamie zur Erhaltung, Veredelung und Höher¬
entwicklung einzelner Rassen beigetragen, während die exoga¬
mische Ehe vielfach zu wirtschaftlichem Verfall und körperlicher
Entartung führen mußte. Es bedarf keiner weiteren Aus¬
führung, von welcher Bedeutung dies auch für das Gemeinwesen
— den Staat — ist.
Für diese Zeit der Polygamie und Polyandrie ist das Vorherr¬
schen des sogenannten Mutterrechtes von namhaften Forschern,
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