50 
Die Genossen legten den Toten auf einen Schild von rotem 
Golde und beratschlagten, wie man es verhehle, daß Hagen ihn 
erschlagen habe. Da rieten etliche, man sollte sagen, er sei auf 
der Jagd allein geritten und von Räubern im Walde erschlagen 
worden. Hagen selbst aber sprach: „Mir gilt es gleich, 'ob 
Kriemhild es erfährt. Hat sie meine Herrin Brunhild so sehr 
betrübt, so soll es mich auch wenig kümmern, wie sehr sie klage 
und weine." 
XVII. Die Jagdgenossen erwarteten die dunkle Nacht, ehe 
sie sich mit der teuern Leiche auf den Heimweg machten. Als sie 
endlich, daheim angekommen waren, befahl Hagen in seinem herz¬ 
losen Übermute, daß man den toten Helden heimlich vor Kriem- 
hildens Thüre trug, damit Kriemhild am andern Morgen, wenn 
sie noch in dem Scheine des Dämmerlichtes nach ihrer täglichen 
Gewohnheit zur Messe ging, den Leichnam finde. 
Eben läutete man im Münster zur Messe. Da weckte Kriem¬ 
hild ihre Frauen und befahl ihnen, Licht und Kleider zu bringen. 
Bald war sie fertig, um zur Messe zu gehen; voran schritt ein 
Kämmerer mit der Fackel, und ihre Frauen folgten ihr. Als sie 
aber aus der Thüre treten wollten, schreckte der Kämmerer zurück 
und sprach: „Steht still, Herrin! es liegt ein erschlagener Ritter 
vor der Thüre; ich sehe sein Gewand von Blute rot." Kaum 
hörte Kriemhild diese Worte, da begann sie zu klagen und zu 
weinen, denn sie mußte sogleich an Hägens Frage, wie er Sieg¬ 
fried schützen könne, denken, und in dem bleichen Scheine der Fackel 
erkannte sie wohl Siegfrieds herrliche Gestalt. Ohnmächtig vor 
Jammer sank sie ihren Frauen in die Arme. Nachdem sie wieder 
zur Besinnung gebracht war, rief sie: „Es ist Siegfried, mein 
lieber Mann! Das hat Brunhild geraten, und Hagen hat es ge¬ 
than." Dann ließ sie sich zu dem Leichnam führen. Mit ihren 
weißen Händen hob sie das schöne Haupt empor, und laut klagend 
rief sie: „O weh mir meines Leides! Wie ist dein Schild noch 
unversehrt, mein Siegfried! Kein Schwertstreich ist auf denselben 
gefallen, und nicht im ehrlichen Kampfe bist du getötet. Schändliche 
Mörder haben dich meuchlings ums Leben gebracht. O, wüßte 
ich gewiß, wer das gethan hat, — ich wollte nicht ruhen, bis auch 
er getötet wäre." 
Auch die Frauen und wer sonst auf das Wehgeschrei Kriem- 
hildens herbeigeeilt war, brachen in schmerzliche Klagen aus und 
beweinten laut den lieben Herrn. Da sprach Kriemhild: „Geht 
hin und wecket schnell die Mannen Siegfrieds. Saget auch dem 
.Könige Siegmund von dem Jammer, der über uns gekommen ist." 
Schnell lief ein Bote dahin, wo Siegfrieds Helden schliefen. Da
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.