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Die Genossen legten den Toten auf einen Schild von rotem
Golde und beratschlagten, wie man es verhehle, daß Hagen ihn
erschlagen habe. Da rieten etliche, man sollte sagen, er sei auf
der Jagd allein geritten und von Räubern im Walde erschlagen
worden. Hagen selbst aber sprach: „Mir gilt es gleich, 'ob
Kriemhild es erfährt. Hat sie meine Herrin Brunhild so sehr
betrübt, so soll es mich auch wenig kümmern, wie sehr sie klage
und weine."
XVII. Die Jagdgenossen erwarteten die dunkle Nacht, ehe
sie sich mit der teuern Leiche auf den Heimweg machten. Als sie
endlich, daheim angekommen waren, befahl Hagen in seinem herz¬
losen Übermute, daß man den toten Helden heimlich vor Kriem-
hildens Thüre trug, damit Kriemhild am andern Morgen, wenn
sie noch in dem Scheine des Dämmerlichtes nach ihrer täglichen
Gewohnheit zur Messe ging, den Leichnam finde.
Eben läutete man im Münster zur Messe. Da weckte Kriem¬
hild ihre Frauen und befahl ihnen, Licht und Kleider zu bringen.
Bald war sie fertig, um zur Messe zu gehen; voran schritt ein
Kämmerer mit der Fackel, und ihre Frauen folgten ihr. Als sie
aber aus der Thüre treten wollten, schreckte der Kämmerer zurück
und sprach: „Steht still, Herrin! es liegt ein erschlagener Ritter
vor der Thüre; ich sehe sein Gewand von Blute rot." Kaum
hörte Kriemhild diese Worte, da begann sie zu klagen und zu
weinen, denn sie mußte sogleich an Hägens Frage, wie er Sieg¬
fried schützen könne, denken, und in dem bleichen Scheine der Fackel
erkannte sie wohl Siegfrieds herrliche Gestalt. Ohnmächtig vor
Jammer sank sie ihren Frauen in die Arme. Nachdem sie wieder
zur Besinnung gebracht war, rief sie: „Es ist Siegfried, mein
lieber Mann! Das hat Brunhild geraten, und Hagen hat es ge¬
than." Dann ließ sie sich zu dem Leichnam führen. Mit ihren
weißen Händen hob sie das schöne Haupt empor, und laut klagend
rief sie: „O weh mir meines Leides! Wie ist dein Schild noch
unversehrt, mein Siegfried! Kein Schwertstreich ist auf denselben
gefallen, und nicht im ehrlichen Kampfe bist du getötet. Schändliche
Mörder haben dich meuchlings ums Leben gebracht. O, wüßte
ich gewiß, wer das gethan hat, — ich wollte nicht ruhen, bis auch
er getötet wäre."
Auch die Frauen und wer sonst auf das Wehgeschrei Kriem-
hildens herbeigeeilt war, brachen in schmerzliche Klagen aus und
beweinten laut den lieben Herrn. Da sprach Kriemhild: „Geht
hin und wecket schnell die Mannen Siegfrieds. Saget auch dem
.Könige Siegmund von dem Jammer, der über uns gekommen ist."
Schnell lief ein Bote dahin, wo Siegfrieds Helden schliefen. Da