18
3. Eine ganz eigentümliche Staatssorm entsteht, wenn
nicht eine weltliche Person oder Mehrheit von Personen, sondern
Gott selbst an der Spitze des Staates stehend gedacht wird und
die Priester als seine Stellvertreter die Herrschaft ausüben.
Eine solche Staatsverfassung nennen wir Theokratie (Gottes¬
oder Priesterherrschaft). Wir finden sie verwirklicht in dem alten
Ägypten, dem alten israelitischen Reiche, dem preußischen Ordens¬
staate, den geistlichen Fürstentümern und dem päpstlichen Kirchen¬
staat. — Für die modernen Kulturvölker ist diese Form, die jede
Freiheit unterdrückt, völlig undenkbar.
4. Bisweilen kommen die verschiedenen Staatsformen
auch gemischt vor. So finden wir eine Monarchie neben einer
alten, einflußreichen Aristokratie in dem neueren England, wo
die Monarchie keine beherrschende Stellung zu erringen vermocht
hat. Anderseits haben wir auch Beispiele einer Monarchie
neben einer völligen Demokratie: dies war die Idee des franzö¬
sischen Kaiserreiches, des „Empire". Endlich gibt es auch eine
Monarchie mit theokratischem Charakter, z. B. in der Türkei, wo
der Sultan zugleich Nachfolger des Propheten ist.
§ 8. Die Volksvertretung.
1. In den meisten Staaten der Gegenwart, seien es nun
Monarchien oder Republiken, besteht eine Vertretung des
Volkes, die an der Verwaltung des Staates Anteil hat und nach
dem englischen Vorbild Parlament genannt wird. Durch
diese Einrichtung, den Parlamentarismus, wird also dem Volke
politische Freiheit, d. h. ein rechtlicher Einfluß auf die
Regierung gewährt und somit die Monarchie der Republik
genähert, während diese wiederum dadurch, daß sie auch einer
Person, dem Präsidenten, wesentliche Befugnisse übertragen muß,
der Monarchie ähnelt.
Allen Angehörigen des Volkes kann auch die reinste
Demokratie nicht Anteil an der Regierung gewähren; sie schließt
unbedingt die Unmündigen, die Kranken und die Verbrecher und
damit mehr als die Hälfte aller Einwohner aus, versagt aber
auch fast überall dem weiblichen Geschlechte, also der Hälfte aller
Erwachsenen, jede Beteiligung und erkennt meist nur die er¬
wachsenen Männer (mithin nicht ganz */4 des gesamten
Volkes) als Teilhaber der Staatsgewalt an.
Aber in den ausgedehnten und bevölkerten Staaten der
Gegenwart können auch nicht einmal alle erwachsenen Männer
zu gemeinschaftlichen Beratungen zusammenkommen. Daher hat
man überall den Ausweg wählen müssen, das ganze Land in
Bezirke zu teilen und jeden Bezirk nur durch einen Abgeord¬