Full text: Deutsche Bürgerkunde

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3. Eine ganz eigentümliche Staatssorm entsteht, wenn 
nicht eine weltliche Person oder Mehrheit von Personen, sondern 
Gott selbst an der Spitze des Staates stehend gedacht wird und 
die Priester als seine Stellvertreter die Herrschaft ausüben. 
Eine solche Staatsverfassung nennen wir Theokratie (Gottes¬ 
oder Priesterherrschaft). Wir finden sie verwirklicht in dem alten 
Ägypten, dem alten israelitischen Reiche, dem preußischen Ordens¬ 
staate, den geistlichen Fürstentümern und dem päpstlichen Kirchen¬ 
staat. — Für die modernen Kulturvölker ist diese Form, die jede 
Freiheit unterdrückt, völlig undenkbar. 
4. Bisweilen kommen die verschiedenen Staatsformen 
auch gemischt vor. So finden wir eine Monarchie neben einer 
alten, einflußreichen Aristokratie in dem neueren England, wo 
die Monarchie keine beherrschende Stellung zu erringen vermocht 
hat. Anderseits haben wir auch Beispiele einer Monarchie 
neben einer völligen Demokratie: dies war die Idee des franzö¬ 
sischen Kaiserreiches, des „Empire". Endlich gibt es auch eine 
Monarchie mit theokratischem Charakter, z. B. in der Türkei, wo 
der Sultan zugleich Nachfolger des Propheten ist. 
§ 8. Die Volksvertretung. 
1. In den meisten Staaten der Gegenwart, seien es nun 
Monarchien oder Republiken, besteht eine Vertretung des 
Volkes, die an der Verwaltung des Staates Anteil hat und nach 
dem englischen Vorbild Parlament genannt wird. Durch 
diese Einrichtung, den Parlamentarismus, wird also dem Volke 
politische Freiheit, d. h. ein rechtlicher Einfluß auf die 
Regierung gewährt und somit die Monarchie der Republik 
genähert, während diese wiederum dadurch, daß sie auch einer 
Person, dem Präsidenten, wesentliche Befugnisse übertragen muß, 
der Monarchie ähnelt. 
Allen Angehörigen des Volkes kann auch die reinste 
Demokratie nicht Anteil an der Regierung gewähren; sie schließt 
unbedingt die Unmündigen, die Kranken und die Verbrecher und 
damit mehr als die Hälfte aller Einwohner aus, versagt aber 
auch fast überall dem weiblichen Geschlechte, also der Hälfte aller 
Erwachsenen, jede Beteiligung und erkennt meist nur die er¬ 
wachsenen Männer (mithin nicht ganz */4 des gesamten 
Volkes) als Teilhaber der Staatsgewalt an. 
Aber in den ausgedehnten und bevölkerten Staaten der 
Gegenwart können auch nicht einmal alle erwachsenen Männer 
zu gemeinschaftlichen Beratungen zusammenkommen. Daher hat 
man überall den Ausweg wählen müssen, das ganze Land in 
Bezirke zu teilen und jeden Bezirk nur durch einen Abgeord¬
	        
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