25. Tagesleben eines wcstgotischen Königs. 183
Reiches in Anspruch. Dabei steht neben dem Thronsessel der
Waffenträger des Königs. Seine Leibwache, nach gotischer
Sitte mit Pelzen bekleidet, wird, um jede Störung zu ver¬
meiden, im Vorzimmer aufgestellt, das nur durch einen
Vorhang von dem größeren Raume getrennt ist. Die Stimmen
von innen werden draußen nur als ein leises Murmeln ver
nommen. In den Saal zu dem Könige haben die Gesandten
fremder Völker Zutritt; diese hört er aufmerksam an und
spricht wenig. Von den Geschäften, die verhandelt werden,
verschiebt er die wichtigen, wenn sie reifliche Überlegung er¬
fordern; die andern macht er rasch ab. Um die zweite Stunde
(um acht Uhr morgens) erhebt er sich von seinem Sitze und
geht in die Schatzkammer oder in den Stall, um sich am
Anblick seines Hortes oder seiner Rosse zu erfreuen. Ist eine
Jagd angesagt, so hält er es nicht 0er königlichen Würde für
angemessen, den Bogen selbst zu tragen; sondern wenn er
einen Vogel oder ein wildes Tier erblickt, so streckt er seine
Hand nach hinten und der dienstthuende Knabe reicht ihm
schnell den Bogen mit ungespannter Sehne. Denn wie er es
für knabenhaft hält, den Bogen in ein Behältnis geschlossen
zu tragen, so dünkt es ihm weibisch, sich ihn gespannt geben
zu lassen. Er spannt ihn selber, und dann mag er zielen,
wonach er will, er wird niemals fehlen. Wenn die Stunde
des Mahles gekommen ist, das sich an gewöhnlichen Tagen
von dem eines andern Goten nicht unterscheidet, so trägt kein
keuchender Diener eine Menge schweren Silbergeschirres für
die Speisenden auf. Gesprochen wird während der Mahlzeit
nur von ernsthaften Sachen. Das Tafelzeug ist teils purpurn
gefärbt, teils von weißem Leinen. Die Gerichte bestehen aus
nicht eben kostbaren, aber schmackhaft zubereiteten Speisen;
das Geschirr zeichnet sich durch Sauberkeit, nicht durch Gewicht
aus. Sellen werden die Becher geleert; denn man trinkt mehr,
um den Durst zu stillen, als um dem Trunk zu frönen. So
verbindet sich in allem öffentliche Pracht mit häuslicher Spar¬
samkeit und königlichem Anstand. Von dem Glanz der Gast-
mähler an festlichen Tagen schweige ich, denn diese sind nie¬
mandem unbekannt. Nach Beendigung des Mahles überläßt