— 116 —
kräfte hinter die Loire zurückgehen, mit Ausnahme von 40 000 Mann
in Paris und den nötigen Festungsmannschaften.
Nachdem diese Hauptbedingungen in Versailles festgesetzt waren,
hatte man sich noch über viele Einzelheiten zu einigen, so daß erst
im Mai der endgültige Friede in Frankfurt am Main abgeschlossen
werden konnte. —
Das Hauptergebnis des deutsch-französischen Krieges war die
Aufrichtung des deutschen Kaiserreichs.
Mit Zustimmung der Fürsten und des Volkes nahm Wilhelm I.
von Preußen die Würde eines deutschen Kaisers an. Am 18. Januar
erfolgte die feierliche Übernahme, an demselben Tage, an welchem
einst ein Kurfürst von Brandenburg sich die Königskrone aufs Haupt
gesetzt. Die Feier fand im Versailler Schlosse statt, da, wo seit den
Tagen Richelieus so viele Pläne zur Erniedrigung Deutschlands
geschmiedet worden und wo so viele Bilder an die Schmach und
Zerrissenheit Deutschlands erinnerten. Den Eingang der Feier bildete
eine Predigt über den Text Psalm 21: ,,Du überschüttest ihn mit
Segen und setzest eine goldene Krone auf sein Haupt. Groß ist sein
Ruhm durch deine Hilfe; Würd’ und Hoheit legest du auf ihn. Du
machest ihn zum Segen für und für; denn der König vertrauet auf
den Herrn. Sie gedachten dir Übles zu tun und machten Anschläge;
aber sie konnten sie nicht ausführen.“ Darauf trat der 74jährige
König vor, verkündete mit bewegter Stimme, daß er die ihm an¬
gebotene Kaiserwürde übernehme, und befahl dem Kanzler, den Erlaß
an das deutsche Volk zu verlesen.
Derselbe lautet wie folgt: ,,Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden
König von Preußen, verkünden hiermit: Nachdem die deutschen Fürsten
und freien Städte den einmütigen Ruf an uns gerichtet haben, mit
Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn 60 Jahren
ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und
nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden
Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden wir hiermit, daß wir es als
Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe
der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte Folge zu leisten
und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden wir und
unsere Nachfolger an der Krone Preußen fortan den kaiserlichen Titel
in unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches
führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein
werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland
einer segensreichen Zukunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die
kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die
Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu
wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte
Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der
Hoffnung, daß es dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn
seiner heißen und opfermiitigen Kämpfe in dauerndem Frieden und
innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit
Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs