Für das römische Reich also war daS Kaisertum ein Segen, 
vielleicht auch ein Heilmittel, wodurch das Reich noch vierhundert 
Jahre länger lebte, während es sonst vielleicht schon vor Christi 
Geburt untergegangen wäre. Aber für uns Deutsche war es 
kein Segen. Und nicht das war das Schlimme, daß wir vier¬ 
hundert Jahre länger in unseren Grenzen bleiben mußten, son¬ 
dern vielmehr das, daß wir auf den Einfall kamen, 
dies römische Reich zu erben. Es ist ja allbekannt, wie 
es in der Völkerwanderung herging, wie die Deutschen den west¬ 
lichen Teil des römischen Reiches eroberten, und wie die Franken 
sich in Gallien festsetzten, das dann nach ihnen den Namen Frank¬ 
reich bekam, und wie dann der Frankenkönig Karl der Große 
sagte, daß er römischer Kaiser sein wollte. 
Denn nach der Völkerwanderung glaubten die Deut¬ 
schen, daß sie die Herren der Welt wären; und sie hatten ja auch 
wirklich so ziemlich das ganze römische Reich erobert; aus der 
Balkanhalbinsel zogen sie bald freilich wieder weg, und dort blieb 
ein oströmisches Reich, das eigentlich ein griechisches Reich war; 
aber das ganze weströmische Reich gehorchte deutschen Völker¬ 
schaften, und von denen hatte Karl der Große die meisten ge¬ 
zwungen, ihm zu gehorchen, so daß er wohl Recht hatte, zu 
meinen, nun wäre ja das ganze weströmische Reich wieder zu¬ 
sammen, und er müsse sich Kaiser nennen. 
Fürwahr, wenn es nur nach Mut und Tapferkeit oder auck 
nach Verstand und Klugheit ginge, dann hätte das deutsche Volk 
es wohl fertig bringen können, über alle anderen Völker dauernd 
zu herrschen. Aber dazu gehört weiter auch noch, daß das Volk 
unter sich einig ist, und das ist ja bei jedem Volke schwer zu er¬ 
reichen, aber wohl bei keinem Volke so schwer wie bei uns. Das 
kann man ja heutigen Tages noch sehn. Heute haben wir die 
Parteien. Von denen weiß jede ganz genau, wie das Deutsche 
Reich beschaffen sein muß, wenn es nicht zugrunde gehn soll; und 
jede einzelne Partei meint, sie hätte alle Tugendhaften bei sich, 
und von denen, die nicht zur Partei gehören, wären ja einige bloß 
zu dumm dazu; die meisten aber wären schlechte Menschen, die 
das ganze Volk ruinieren wollten, bloß um selber irgend einen 
Vorteil davon zu haben. So spricht jede einzelne Partei, und 
jede meint es sehr ernst damit, bis mal wirklich eine ernste Gefahr 
von außen kommt, wie 1870. Dann besinnen sich doch alle darauf, 
daß die von den andern Parteien auch Deutsche sind, und daß die 
Deutschen immer zusammenhalten müssen.
	        
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