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hat die Kinder für das Edle und Gute zu erwärmen und sie das Ge¬ 
meine und Verabscheuungswürdige verachten zu lehren. Geschieht dies 
in einfacher, herzlicher Weise und an Stoffen, die einen bleibenden Wert 
haben und frei von allen fromm und religiös klingenden Phrasen sind, 
und wird die religiöse Anregung nicht geflissentlich in den Vordergrund 
gedrängt, so daß der ganze Unterricht ein frömmelndes Gepräge annimmt 
oder eine gewisse religiöse Färbung erhält, so wird damit dem wirklichen 
Bedürfnis der Kinder Rechnung getragen und zu aller ferneren religiösen 
guter Grund gelegt. Und läßt der Lehrer außerdem er¬ 
greifende Erscheinungen in der Natur oder außergewöhnliche Vorgänge 
in der Umgebung nicht vorübergehen, ohne das Herz der Kleinen zu be¬ 
wegen, so ist er auf dem rechten Wege, auch jener Ausgabe des An¬ 
schauungsunterrichtes gerecht zu werden, der Gemütsbildung der 
Kinder ihre unbestreitbaren Rechte einzuräumen. 
Während er aber diese hohen Ziele verfolgt und die Kinder unaus¬ 
gesetzt zur Selbsttätigkeit und Sinnes Übung anhält, trägt er zu¬ 
gleich dazu bei, die Sinneskraft zu erhöhen. Die Kinder lernen nicht nur 
mit Schnelligkeit mehr übersehen, sondern auch richtiger und vollständiger 
sehen und besser hören. Sie lernen gleichzeitig aber auch über ihre Auf¬ 
merksamkeit herrschen und ihr Interesse der Sinnestätigkeit in ver¬ 
langter Weise zuwenden. Ursprünglich besitzt das Kind keine eigene Kraft, 
Vorstellungen und Vorstellungsreihen auf längereZeit festzuhalten und seine 
Aufmerksamkeit seinem Willen zu unterwerfen, es wendet sich bald diesem, 
bald jenem die Sinne fesselnden oder das Interesse des Genusses erregen¬ 
den Gegenstände zu. Durch fortgesetzte, die Sinne betätigende Unter¬ 
redungen lernt es nach und nach seine Aufmerksamkeit dem Dienste des 
Willens unterwerfen und über denselben herrschen, also die primitive, un¬ 
willkürliche Aufmerksamkeit zu der dem Willen gehorchenden, für allen 
späteren Unterricht durchaus_notwendiaen willkürlichen zu er¬ 
geben J). 
Ein wirkliches Lernen und Fortschreiten in der Bildung durch Unter¬ 
richt ist aber erst dann möglich, wenn die Kinder die Sprache des 
Unterrichtes vollständig verstehen und sich einigermaßen geläufig darin 
auszudrücken wissen. Leider fehlt es in dieser Beziehung den allermeisten 
Schulkindern, oft bis in die Mittelklassen hinein. Zwar hat der gesamte 
Schulunterricht für Förderung in der Sprachbildung zu sorgen, denn in 
jeder Disziplin ist die sprachliche Ausdrucksweise zu verbessern, allein kein 
Unterricht hat es seiner grundlegenden Bedeutung wegen so notwendig, 
über die Sprache zu wachen, mit keinem ist Sprachbildung so innig ver¬ 
knüpft (außer mit dem Sprachunterrichte selbst) als mit dem Anschauungs- 
unterrickte. Ja, er ist seiner Natur nach selbst Sprachunterricht und 
wird deshalb vielfach auch mit gewissem Rechte der erste Sprach- und 
Sprechunterricht genannt, da alle unterrichtliche Gedankenmitteilung nur 
durch Worte geschehen kann und Übung im richtigen Denken gleichbedeutend 
J) Ziller, T., Allgemeine Pädagogik. 3. Aust, der Vorlesungen über 
allgemeine Pädagogik. 8 25. Herausgeg. von Dr. Karl Just. (XVI, 430 S.) 
Leipzig 1891, Heinr. Matthes. 6 Mk.
	        
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