Erziehung zur Selbständigkeit und Genügsamkeit.
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diegene für gewöhnlich erachtet, die von Jahr zu Jahr hochmütiger in den
Wünschen und überspannter in den Ansprüchen wird. Besitzt das Kind nur
eine Puppe, so wendet es dieser alle Sorgfalt und Liebe zu, während ein
anderes Kind, dem eine ganze Puppengesellschaft zur Unterhaltung zugeführt
wird, in Verlegenheit kommt und ratlos vor dieser Gesellschaft steht, nicht
wissend, welchem Püppchen es den Vorzug geben soll.
Man glaube auch uicht, daß das Kind, wenn es aufhört mit seinem Spiel,
für alle Zeit das Interesse an diesem Spielzeug verloren habe. Mau nehme
nur alsdann das Spielzeug auf eine längere Zeit in Verwahrung, und wäre
es auch bis zum nächsten Weihnachtsfeste; immer wieder findet das Kind von
neuem Wohlgefallen daran, ja es wird ihm mit der Zeit immer teurer, denn
„es hängt ein Stück seines Ich, seiner Kraft daran. Und gesunder Sinn
hält in Treue am geschichtlich Gewordenen fest." Eltern müssen ihre Auf¬
merksamkeit auch darauf richten, daß das Kind beim Spielen vor leiblichen
Gefahren geschützt werde. Man bewahre das Kind vor spitzigen, scharfen,
bleiernen oder mit giftigen Farben bekleideten Spielsachen, die die Gesund¬
heit und das Leben bedrohen. Man lasse die Kinder nicht an offenen Brunnen,
unverdeckten Senkgruben, in der Nähe der Eisenbahn, sondern auf einem ein-
gefriedigten, zugfreien Spielplätze spielen. Kletter- und Versteckspiele sind
wegen ihrer großen Gefährlichkeit zu verhindern. Ebenso ist das Nachahmen
von Blinden, Lahmen, Blödsinnigen, von kirchlichen Handlungen, Leichen¬
begängnissen unstatthaft. — Wenn auch das fröhliche Spiel der Kinder nicht
ohne laute Äußerung der Freude vor sich gehen kann, so darf der Kinderjnbel
doch niemals in einen wüsten Lärm ausarten.
Die Eltern mögen bedenken, daß im Spiele Samenkörner für das ganze
Leben ausgesäet werden. Darum sind die Kinder glücklich zu preisen, deren
Spiel nach den hier nur angedeuteten Grundsätzen geleitet und gepflegt wird.
Diese Kinder zeichnen sich auch noch in der Elementar kl asse aus und er¬
freuen hier den Lehrer durch Lust und Neigung zu körperlicher und geistiger
Tätigkeit, durch Gewandtheit im Denken und Sprechen, durch schnelles, klares
Auffassen, durch Ausdauer und Beharrlichkeit in Erstrebung eines Zieles und
durch Ordnungsliebe, Verträglichkeit und Selbstverleugnung.
2. Sittliche Bildung.
Das Ziel aller sittlichen Bildung ist die Erziehung zur sittlicheu Frei¬
heit. „In den ersten sechs Jahren," sagt Friedrich Ascher (Pädagogium
von I)r. Dittes, 1882, Heft, 8), „braucht die Erziehung aus nichts anderem
zu bestehen, als aus der Erziehung zum Gehorsam. Diese ist die beste Vor¬
bereitung für die sittliche Bildung. — Ein roter Faden zieht als Richtschnur
durch das Erziehungsgeschäft. Hältst du nur fest an ihm, reihen sich die
schönsten Perlen an. Dieser rote Faden ist die Erziehung zur moralischen
Kraft, d. i. zur Macht über sich selbst, um das Gute und Rechte nicht allein
zu wollen, sondern auch zu können. Nach dieser Richtung hat alles Streben
zu gehen. Alles andere ergibt sich von selbst." Der Weg dazu ist: Erstar¬
kung, Enthaltsamkeit, Selbstverleugnung; die Mittel sind: Vorbild, Unter-