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griechische Kultur mit der römischen verschmolzen und schließlich
an der Stelle der nationalen, heidnischen Religionen die Welt¬
religion des Christentums zur Herrschast gebracht. — Die
Bedeutung der griechisch-römischen Kultur ist um so
größer, als sie später zweimal, im 15. und im 18. Jahrhundert,
durch ihr Wiederausblühen wesentlich zur Kultur Westeuropas
beigetragen hat.
3. Die Erben der griechisch-römischen Kultur wurden dann
im Mittelalter die unter den nationalen und religiösen Kämpfen
der Völkerwanderung sich bildenden germanischen und
romanischen Völker in der Westhälste Europas, vor
allem auch die Deutschen in Mitteleuropa. Ihr Verdienst
war die, freilich zuerst nur äußerliche, Aneignung und Aus¬
breitung der alten Kultur und des Christentums, die Aus¬
bildung des Staates und der Kirche und deren Schutz vor
dem Ansturm der aller Kultur feindlichen Mongolenvölker, der
heidnischen Normannen und des im Orient entstandenen, eine
Zeitlang kultursördernden Islam (den Arabern in Spanien ver¬
danken wir unsere Zahlzeichen und die Begründung der Chemie,
eine eigenartige Architektur und die phantastischen Arabeske'n),
die Erneuerung des römischen Kaisertums und dessen Wett¬
kampf mit dem nach der Weltherrschaft strebenden Papsttum,
das in den Kreuzzügen die abendländische Christenheit zu einem
großartigen, Handel und Verkehr fördernden, aber opferreichen
und erfolglosen Religionskriege gegen den Orient führte. Das
Kaisertum unterlag, aber auch die Weltmacht des Papsttums
zerfiel bald, und so wurde die Bahn frei für eine allmählich
immer mehr sich steigernde nationale Entwicklung. Neben
dem universalen Kaisertum des Hauses Habsburg ent¬
stehen im 15. Jahrhundert in Spanien, Frankreich und
England starke nationale, auf Heer, Steuern und geordnete
Verwaltung gegründete Königreiche, während Deutschland und
Italien in viele Kleinstaaten zerfallen.
Die altgermanische Volkssreiheit war längst ver¬
schwunden, und das seit dem 8. Jahrhundert entstehende Lehns¬
wesen hatte die bevorrechteten Stände der Geistlichkeit und
des Adels, später auch der Bürger, geschaffen, welche die
Macht der Herrscher sehr beschenkten. Erst gegen Ende des
Mittelalters suchen diese die Fesseln abzuwerfen. Die Kultur
war sehr niedrig, Roheit und Unwissenheit, Aberglaube und
Fanatismus gegen Ungläubig» und Ketzer herrschend, die Bil¬
dung rein kirchlich, und so brachte auch nur die rein kirchliche
Kunst neue Schönheiten hervor (den byzantinischen, den roma¬
nischen und den gotischen Baustil). Eine Zeitlang blühte unter