Iäckh: Deutsche Wirtschaftspolitik - v. Helgoland b. Bagdad. 99
hat - ein halbes Jahrhundert später - der erste deutsche
Armeeberater der Türkei, Hellmut von Moltke, drüben als
wohlwollender Freund sich umgesehen und nach Berlin be¬
richtet „über Zustände und Begebenheiten in der Türkei",
in den dreißiger Jahren. Zur gleichen Zeit hat der größte
Volkswirt Deutschlands, „der wirtschaftliche Bismarck
Deutschlands", Friedrich List, von seiner schwäbischen Stu¬
dierstube aus die künftige Wiedergeburt des türkischen Dor-
derasiens durch die europäische Technik in einer geradezu
genialen Prophetie angekündigt, und er hat bereits einem
künftigen Deutschland die entscheidende Führung zuge¬
wiesen.
Und in der Kiellinie solcher Richtung hat - wieder ein
halbes Jahrhundert später - die „Hohenzollern" des deut¬
schen Kaisers das Mittelmeer nach Konstantinopel und gen
Jerusalem durchzogen, zum neudeutschen Bekenntnis: „Ich
will der Freund der dreihundert Millionen Mohammeda¬
ner sein!" So romantisch jene glanzvolle Szene am Grab
des großen Sultans Salaheddin geschienen haben mag —
so praktisch ist in Wirklichkeit ein Ergebnis einer solchen
Orientreise Kaiser Wilhelms II. gewesen und geworden:
der Gewinn, daß der Sultan Abdul Hamid der deutschen
Politik den Bau der Bagdadbahn bewilligt hat, der dann
in der Folge durch verschiedene Verträge näher bestimmt
worden ist.
Beinahe ins gleiche Jahr fällt die Erwerbung Helgo¬
lands durch und für Deutschland. Die Persönlichkeit des
gleichen Staatsmannes hat die Papiere über Helgoland
und Bagdad unterschrieben - Freiherr Marschall von Bie¬
berstein: er hat seine diplomatische Tätigkeit mit dem ersten
englischen Helgolandvertrag eingeleitet (1890 als deutscher
Auslandsminister), und er hat sie mit dem letzten türkischen
Bagdadvertrag vollendet (1910 als Botschafter in Kon¬
stantinopel). Diese beiden Daten bezeichnen nicht nur äußer¬
lich und zeitlich Ausgangs- und Zielpunkte der neudeutschen
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