Full text: Die Geschichte des deutschen Volkes

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Zweites Buch. Dritter Abschnitt. 
ausrichteten, ja sogar oft auch mit denselben gemeinschaftliche Sache mach¬ 
ten und doch eine starke Hand noch that, um die Anfälle der Feinde Deutsch¬ 
lands abzuwehren, kamen damals die Stammherzogthümer allmalig wie¬ 
der auf; und zuerst haben die Sachsen einen einZebornen Herzog be¬ 
kommen, den Ludolf aus dem Geschlecht des Helden Wittekind, dann (ums 
Jahr 847) erhielten auch die Thüringer und die Lothringer Herzoge. Und 
diese Herzoge wurden nun die natürlichen Vertreter der einzelnen deutschen 
Völkerschaften, aus deren Mitte sie hervorgingen, und bewahrten, wie un¬ 
abhängige Fürsten, gar eifersüchtig die alten Ehren und Vorrechte je ihrer 
Völkerschaften gegen andere. Dadurch ist aber auch zugleich die alte deut¬ 
sche Gauverfassung allmälig zu Grunde gegangen und der Anfang ge¬ 
macht worden, daß das Reich später in viele Erbgebiete („Territorien") 
zerfiel, — solche, über welche einzelne geistliche oder weltliche Herren 
(Bischöfe und Aebte, Grafen und Edelinge) eine bleibende Landesherrlich¬ 
keit gewannen, und solche, welche von der Gewalt der Grafen ganz losge- 
kommcn waren, ihre eignen Vögte hatten, und „Reichsvogteien" hießen 
(wie z. B. gewisse königliche Pfalzen). Dabei hat nun das Adels wesen 
unvermerkt eine andere Gestalt bekommen. Die Edelinge aus alten 
Zeiten waren entweder erbliche Herzoge, Landgrafen, Markgrafen gewor¬ 
den, — oder „Herren", wenn sie nicht unter der Gewalt von jenen stan¬ 
den und ihr eigen Stück Land mit eigenen Leuten hatten, — oder „Ritter", 
welche hauptsächlich den Kriegsdienst betrieben und in der Kriegsehre einen 
Ersatz für die alte Freiheit fanden. Die Ritter waren nun entweder freie 
Grundeigenthümer und nur dem König und dem Reich zum Kriegsdienst 
verpflichtet oder „Lehnsmannen" (d. i. persönlich frei, aber einem Herrn, 
von dem sie irgend ein Gut oder Recht zu Lehn trugen, zu gewissen Kriegs¬ 
diensten pflichtig) oder „Dienstmannen", diese mußten ihren Herren allen 
und jeden Dienst, im Krieg wie zu Hof, leisten. Und die Herren und Rit¬ 
ter bauten sich in jenen Zeiten des wilden Faustrechts immer mehr feste 
Burgen im Land, und fingen an, sich unter strengen Gesetzen als ein be¬ 
sondrer Stand zusammen zu thun. So haben sich also von den Freien der 
alten Zeit nur gar Wenige in „Landgemeinden" (am meisten noch in der 
Schweiz und in Westphalen), oder als Bürger in den alten Städten er¬ 
halten; denn die Handwerker in den Königspfalzen und Bischofssitzen wa¬ 
ren noch immer größtentheils hörige Leute; am allerschlimmsten ging's dem 
Bauernstand, da doch die Landwirthschaft die rechte Grundlage aller 
Landeswohlfahrt sein soll; die deutschen Bauern gehörten damals mei¬ 
stens zum Grund und Boden der Gutsbesitzer, wie die Frucht, die drauf 
wuchs, und wie das Vieh, das drauf weidete, und wurden, leider Gottes, 
auch nicht anders behandelt. Zur größten Macht über Güter und Gemü- 
ther kam die Geistlichkeit, weil sie einträchtig blieb, während sich die welt¬ 
liche Macht so vielfach vertheilte. Der Papst, als Haupt der Geistlichkeit, 
erhielt damals eine neue Stütze seines Ansehens durch eine Sammlung von 
„Dekretalen" (d. i. Satzungen aus den ältesten Zeiten des Christenthums), 
welche die Grundlehre enthielten, daß er nicht bloß über allen weltlichen 
Fürsten, sondern auch über den Kirchenversammlungen stehe, kurz, daß alles, 
was er beschließe und sage, untrüglich, und daß er der allerhöchste irdi¬ 
sche Richter sei. Diese Dekretalen waren aber nicht wirklich so alt, als sie 
ausgegeben wurden, sondern das Machwerk eines Geistlichen zu Mainz, 
Benedikt Levita, zwischen 830 und 845. Damals lag der Aberglaube über 
den rohen Sitten, wie schwere Nebel im Herbst auf dem Stoppelfeld. Da
	        
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