8 I. Staatsverfassung. B. Brandenburg-Preußen-Deutschland
I») Der Landtag.
Der Landtag besteht aus dem Herrenhause (Berlin, Leipziger Straße)
und dem Abgeordnetenhause (Berlin, Prinz-Albrecht-Str.). Das Herren¬
haus besteht aus den volljährigen preußischen Prinzen, den erblichen Mit¬
gliedern oder solchen, die durch königliches Vertrauen auf Lebenszeit be¬
rufen sind. Das Abgeordnetenhaus geht aus allgemeineu Wahlen
hervor, die auf fünf Jahre stattfinden.
Zum Zwecke der Wahl werden in den Wahlbezirken die Wähler nach dem Er¬
gebnisse der Steuern in drei Klassen eingeteilt. Die Gesamtsumme der Steuern eines
Bezirks wird in drei Teile geteilt. Die Wähler, die das 1. Drittel aufbringen, die
Höchstbesteuerten, bilden die erste Klasse. In der zweiten Klasse wählen die Wohl¬
habenderen, in der dritten die übrigen. Das Wahlrecht ist allgemein; mit wenigen
gesetzlich bestimmten Ausnahmen ist jeder Preuße wahlberechtigt. Wählen darf jeder,
der das 24. Lebensjahr vollendet hat, gewühlt werden jeder, der das 30. Lebensjahr
zurückgelegt hat.
Die Wahl erfolgt mittelbar. Die Urwähler in den Landtagswahlbezirken wählen
die Wahlmänner, die Wahlmänner den Abgeordneten. Die Wahlhandlung geschieht
öffentlich, der Wahlmann nennt den Abgeordneten.
Wir haben also in Preußen das allgemeine, mittelbare,
öffentliche Dr ei klaff enw ah lr echt.
Alle Gesetze, der jährliche Staatshaushalt, die Anleihen sind an die
Zustimmung des Landtages gebunden. Die Abgeordneten, 443 an der
Zahl, sind an keinerlei Weisungen ihrer Wähler gebunden und Vertreter
des ganzen Landes. Ihre Unabhängigkeit ist gewährleistet. Die Minister
sind dem Landtage für die Regierungshandlungen des Königs verantwort¬
lich. Sie sind aber nicht ohne weiteres von den Mehrheitsbeschlüssen des
Landtages abhängig, sondern Vertrauensmänner des Königs. Für den Er¬
laß eines Gesetzes wirken in Preußen drei Faktoren mit: 1. das Ab¬
geordnetenhaus, 2. das Herrenhaus, 3. der König.
c) Die Rechte und Pflichten der Preußen.
Die Rechte der Preußen sind politische und bürgerliche. Das poli¬
tische Recht ist das Wahlrecht. Die bürgerlichen sind die Freiheit der Person
und des Eigentums, das Vereins- und Versammlungsrecht Religionsfreiheit,
Freiheit der Wissenschaft, Preßfreiheit, Gewerbefreiheit, allgemeine Gleich¬
heit vor den: Gesetz. Die Pflichten sind die allgemeine Schulpflicht und
die allgemeine Wehrpflicht, die Steuerpflicht uud der verfassungsmäßige
Gehorsam.
4. Die Verfassung des Deutschen Reiches.
a) Allgemeines zur Reichsverfassung.
Das alte Reich ging durch die schließlich völlige Selbständigkeit der Einzelstaaten
1806 zugrunde. Der deutsche Bund seit 1814 war ein Staatenbund ohne Einheit¬
lichkeit. Der Bundestag umfaßte die Vertreter der Regierungen, war aber ohne eigene
Macht. Die Verfassung des Deutschen Reiches, die 1848 entworfen wurde, enthielt
den Plan zu einem Staatenhaus mit Vertretern der einzelnen Regierungen und zu
einem Volkshaus, der Vertretung des gesamten deutschen Volkes.