66
VIII. Sozialpolitik
eigner), zur Bildung eines besitzlosen Proletariats. Dies werde sich schließlich erheben
und die Enteigner enteignen (Expropriation der Expropriateure). Durch Überführung
von Kapital und Produktionsmitteln in den Besitz der Gesamtheit würde dann das
Verhältnis von Lohn und Arbeit sozialistisch organisiert werden,
ix, 28i Bebel und Liebknecht forderten dann die Beseitigung aller Klassen¬
unterschiede, die Beseitigung des bestehenden Staates und die Errichtung
eines demokratischen Staates, der im Besitze aller Produktionsmittel sei
und alle Arbeit sowie allen Lohn verteile. Diese „sozialdemokratische Ar¬
beiterpartei" vereinigte sich 1875 mit den Anhängern Lassalles.
b) Das Sozialistengesetz. Die Christlich-Sozialen. Die kaiserliche Botschaft,
ix, 28i Gegen die sozialdemokratische Partei schritt Bismarck durch das Sozia¬
listengesetz ein. Es hieß eigentlich „Gesetz gegen die gemeingefährlichen
Qu. ii, 79 Bestrebungen der Sozialdemokratie" (1878). Alle sozialdemokratischen Zei-
Qu. i, i6 tnngen wurden verboten, die Vereine aufgelöst, die Bestrebungen sozial¬
demokratischer Richtung mit Gefängsnisstrafe bedroht. Es bestand bis zum
Jahre 1890.
Die christlich-soziale Partei, 1878 von Stöcker gegründet, stützt sich auf die evan¬
gelischen Arbeitervereine und war bestimmt, auf dem Boden des Christentums und
des bestehenden monarchischen Staates für die Besserung der Lage der arbeitenden
Klassen einzutreten.
Die kaiserliche Botschaft vom 17. November 1881 eröffnete, um
ix, 285 neben dem Sozialistengesetz aus christlicher Nächstenliebe heraus den Ar¬
beiterstand zu heben, das Zeitalter der staatlichen Sozialpolitik.
c) Die Gewerkschaften.
Neben der Sozialdemokratie als politischer Partei stehen die sogenann¬
ten „freien" Gewerkschaften, in denen sie die Herrschaft ausübt. Die
Gewerkschaften sind die wirtschaftliche Organisation der Arbeiterschaft auf
Grund des Koalitionsrechtes. Sie bezwecken die Besserung der Lohn- und
Arbeitsverhültnisse, wenn nötig durch das erlaubte Mittel des Streiks.
Diese Gewerkschaften stimmen aber keineswegs immer mit der politischen Partei
überein; denn die Partei ist oft gezwungen, mit ihnen zu verhandeln. Für rein poli¬
tische Zwecke sind die Gewerkschaften nicht ohne weiteres zur Verfügung der Partei.
So haben sie sich bisher geweigert, den Generalstreik als Mittel für politische Ziele
(Wahlrecht) grundsätzlich anzuerkennen.
Neben den im wesentlichen sozialdemokratischen „freien" Gewerkschaften
gibt es noch die mehr liberal gerichteten „unpolitischen" Hirsch-Dunker-
schen Gewerkvereine sowie die christliche Gewerkschaft.
Die letztere umfaßt evangelische und katholische Mitglieder. Da die katholischen
überwiegen, so wollte die Berliner Richtung der katholisch-christlichen Arbeiter eine
rein konfessionelle Organisation erreichen. Die „Kölner Richtung" dagegen trat für
völlige Freiheit des Arbeiters rücksichtlich seiner wirtschaftlichen Organisation und für
Beibehaltung des alten Zustandes ein.
Die sogenannten „gelben Gewerkschaften" sind die „wirtschaftsfriedlichen",
die nicht durch Zwangsmittel, sondern in Übereinstimmung mit den Arbeitgebern
die wirtschaftlichen Fragen lösen wollen.