3. Die deutsche Sozialreform
67
d) Die sozialen Gesetze. Deutscher Staatssozialismus. IX> 28&
Der Grundgedanke für die Sozialpolitik des Deutschen Reiches istlx-286
das Eingreifen des Staates in die Wirtschaftsvorgänge zu- Du- x>16
gunsten der arbeitenden Klassen. Der Staat zwingt den Arbeitgeber,
einen Teil seines Gewinnes für das Wohl der Arbeiter zu verwenden.
Aber auch die Arbeiter werden gezwungen, einen Teil ihres Verdienstes
für die Versicherungen zu verwenden. Dazu kommen dann noch staatliche
Zuschüsse. — Der Staatssozialismus hat somit in Deutschland seine folge¬
richtige Ausbildung gefunden (Reichsversicherungsordnung von 1911). Die
Gebiete der Zwangsversicherung sind folgende:
a) Die Krankenversicherung (15. Juni 1883).
Die Versicherten erhalten im Krankheitsfälle bis zu 26 Wocheu freie ärzt¬
liche Behaudlung nebst Heilmitteln sowie ein Krankengeld oder freie Austaltspflege
nebst halbem Krankengeld für Angehörige. Die Mittel werden von den Versicherten
zu %, zu ys von den Arbeitgebern aufgebracht.
Durch Ausdehnung dieses Gesetzes auf Angestellte im Handel, Gewerbe und ähn¬
lichen Berufen, auch auf Dienstboten, Aufwürterinnen, Pförtner hat der Staat ver¬
sucht, nicht nur auf die Besserstellung der Arbeiterklasse, sondern auch auf die des
kleineren Mittelstandes einzuwirken.
ß) Jnvaliditäts- und Altersversicherung (24. Mai 1889).
Wo das Krankenkassengesetz nicht ausreicht, tritt das Jnvaliditütsgcsetz ein. Das
frühere Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz heißt seit 1891 das „Jnvaliden-
versicherungsgesetz". Alle Personen, die ein Einkommen unter 2000 Mk. beziehen
und gegen Lohn oder Gehalt zu Lande oder zu Wasser Dienst tun, müssen sich ver¬
sichern. Bei dauernder Erwerbsunfähigkeit wird eine Invalidenrente gezahlt, nach
dem 70. Lebensjahre eine Altersrente. Die Herabsetzung der Frist für die Altersrente
auf das 65. Lebensjahr ist in Aussicht genommen. Die Beiträge werden zur Hälfte
vom Arbeitgeber, zur Hälfte vom Arbeitnehmer getragen. Das Reich zahlt zu jeder
Rente einen jährlichen Zuschuß von 50 Mk.
y) Unfallversicherung (1884).
Bei Unfällen im Groß- und Baugewerbe, in landwirtschaftlichen
Betrieben, im Seedienft, der Betriebsbeamten mit einem Gehalt unter 5000 Alk.
tritt das Unfallversicheruugsgesetz (1884, 1885—87, 1900) in Kraft. Die Versicherten
erhalten für Unfälle während ihrer Berufsarbeit eine Entschädigung, die in freier
Heilbehandlung besteht. Bei dauernder Erwerbsunfähigkeit steht ihnen eine Rente zu.
Hinterbliebene erhalten bei Todesfällen Sterbegeld oder Rente.
Die Kosten werden von den in Berufsgenossenschaften vereinigten Arbeitgebern
allein getragen.
6) Der Arbeiterschutz (seit 1890).
Der Arbeiter wird durch die Bestimmungen der Reichsgewerbeordnnng
gegen Ausbeutung vom Staate geschützt. Den Arbeitern ist die Ver¬
einigung (Koalition) erlaubt, ebenso die Arbeitseinstellung zur Erlangung
günstigerer Lohnbedinguligen. Der Arbeitsvertrag erfolgt nach freier Über-
einkunft. Die Sonntagsarbeit ist keine Verpflichtnng und in fast allen Ge-