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Kunst-
gewerbe.
Betriebe für Reparaturen sowie eigene Werkstätten für einzelne
Teile der Fahrräder, wie Speichen, Gummireife, Laternen usw.
Aus einem Arbeitsfeld aber wird die Maschine das Hand¬
werk nicht verdrängen können; dies Feld muß dem Handwerk daher
für alle Zeit erhalten bleiben, wenn die Handwerker verstehen, es
zu bebauen. Die folgende Erzählung soll uns darauf hinführen:
Ein Fürst ließ auf einer schönen Insel ein Schloß bauen. Viele
fleißige Hände waren dabei beschäftigt. Alles im Schlosse sollte das Auge
des Fürsten erfreuen. Auf seinen Wunsch trafen sich dort unter andern
zwei Männer, die einander feindlich gesinnt waren. Sie hießen mit den
Vornamen Raphael und Siegfried. Einer war dem andern bisher aus
dem Wege gegängelt. Jeder hielt sich für wichtiger. Der Fürst hatte dies
tvohl gemerkt; er nannte sie spaßhaft „die feindlichen Brüder". Der heitere
Raphael war höflicher, feiner, liebenswürdiger als der ernste Siegfried,
dieser aber sicher der stärkere. Ersterer interessierte sich besonders für die
Schönheiten der Natur; das Blatt einer Pflanze, deren Blüte und Frucht,
ein Schmetterling konnte seine Aufmerksamkeit fesseln. Besonders geril
sprach er non der Farbenharmonie. In allen: suchte er „Stimmung". —
„Stimmling" empfand Siegfried weder am Seeufer, noch im Walde. Er¬
ich alt Raphael einen „phantastischen Schwärmer", was dieser gerne mit
„plumper Geselle" quittierte. Raphael sah mit Geringschätzung ans Sieg¬
frieds Arbeit, wodurch sich dieser gekrällkt fühlte.
Der Fürst hatte beide lieb, denn jeder war tüchtig und fleißig in
seinem Fache. Er wollte die „feindlichen Brüder" versöhnen. Zu diesem
Zwecke stellte er beiden gleiche Ausgaben: Jeder sollte eines der beiden
Haupttore des Schloßhofes nach den Wünschen des Fürsten herstellen.
Jeder schaffte, probierte — doch keiner genügte den Forderungell des Ban-
herrn. Siegfried fehlte die Phantasie uild die „Stimmung", Raphael die
Handgeschicklichkeit. Uild doch hätte jeder so gern das Lob des Fürsten
geerntet, um so dem andern zeigeil zu können: „Sieh, ich bin der Größere!"
Da sprach der Fürst zu beiden: „Ihr seht, daß jedeiil gerade das Geschick
des andern fehlt; wenn ihr nun zusammenarbeiten würdet — vielleicht
würde dalln die Arbeit gelingeil!" . . . Nach kurzer Pause sahen sich „die
feindlichen Brüder" fragend an. Darauf erklärte der gebildetere Raphael:
„Meinetwegen, ich wi'lls versuchen". „Dann will ich auch lnittun", ant-
wortete Siegfried.
Bei der Arbeit lernten beide einander achten. Es flößte Raphael
Respekt ein, wie Siegfried ben Materialien ihre Geheimnisse abgelauscht
hatte, um sie in beliebige Formen zu bringen; er sagte still für sich: „Der
stehr mit den Eigentümlichkeiten der Metall-, Holz- und Steinsprache ans
Du und Du". Mit wachsendein Interesse beobachtete Siegfried, wie Raphael
die Früchte der Pflanzen zu Vorbilderil für Gefäße, die Blattsormen zli
Verzierungen zu verwenden wußte; er lernte, wie reich die Natur an
Formen sei, wie man sie betrachten müsse, um ihren Zauber ganz zu erfassen.
Die gemeinsame Arbeit, bei der einer den andern ergänzte, ging
rüstig vorwärts. Sie gelang vortrefflich. Der Fürst lobte die trefflicheil
Meister und bezahlte sie — wie ein Fürst. _
Die Arbeit wird heute lloch von den Besuchern des Schlosses be¬
wundert. „Die feindlichen Brüder" hatteil sich schätzeil gelernt Sie schloffen
einell Freundschaftsbund. Der besteht heute noch. Man nennt ihn
Kn ilst ge werbe.
Das Kunstgewerbe erfordert geübtes Auge und geschickte
Hand. Zwar versuchten bereits einzelne große Betriebe kunst¬
gewerbliche Gegenstände fabrikmäßig herzustellen; das verständige