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Publikum weiß jedoch „Handarbeit" im Gegensatze zu „Fabrik¬
ware" Wohl zu schätzen.
Zur Zeit König Ludwigs I. gab es Wohl eine Münchener,
eine deutsche Kunst, aber kein deutsches Kunstgewerbe. Ludwigs
große Baumeister Ziebland, Klenze, Gärtner re. mußten sich die
Männer für feinere Holz-, Stein- und Metallarbeiten, Ornamente,
Wandmalerei, Stuckdekoration re. erst heranbilden. Von einem
Kunstgewerbe wußte man nichts, nicht einmal den Namen. Denk
deutschen Handwerker fehlte alles: künstlerische Anregung, Geschick¬
lichkeit der Hand und ein kauflustiges Publikum. Diese Mängel
hatte der bayerische Oberbaurat A. b. Voit richtig erkannt.
Auf seine Anregung entstand in München im Herbste 1850 der
„Verein zur Ausbildung der Gewerke", der später „Kunstgewerbe¬
verein" genannt wurde. Der Verein wollte die Kunst mit dem
Handwerk verbinden und so dem heimischen Gewerbe Hilfe und
Unterstützung bieten. Er wollte dies erreichen durch Unterricht
der gewerblichen Jugend, Übung im Zeichnen, Preisaufgaben,
Herausgabe einer Zeitschrift, Einrichtung einer Bibliothek und
krmstgewerblicher Ausstellungen sowie durch belehrende Vorträge.
Der Verein veranstaltete 1876 eine Jubiläumsausstellung. Es
zeigte sich, welche Fortschritte das heimische Kunstgewerbe in
25 Jahren gemacht hatte. Das Publikum sah auf dieser Ausstellung,
daß es nicht notwendig sei, alles Geschmackvolle aus Paris zu
beziehen. Seit jener Ausstellung wurde es Mode deutsche
Stuben einzurichten, deutsche Vorbilder der Vergangenheit zu
beachten und zu betrachten, deutsch zu fühlen auch im Kunst¬
handwerk. Maler, Bildhauer, Architekten, Zeichner und Handwerker,
der Hof und die Bürger waren von der freudigen Hoffnung
erfüllt, daß die schöne Zeit mittelalterlich-deutschen Kunstfleißes
wieder aufblühen werde. Auch im zweiten Vierteljahrhundert
des Kunstgewerbevereins machte das Münchener, das bayerische,
das deutsche Kunsthandwerk bedeutende Fortschritte. Den Beweis
hiefür lieferte die Pariser Weltausstellung 1900.
Auch das deutsche Volk gewinnt immer mehr Verständnis
für kunstgewerbliche Arbeiten. Das Kunsthandwerk ist nicht mehr
auf Fürstenschlösser angewiesen. Es hat seinen Weg von den
Prachtburgen zu den Wohnungen der wohlhabenden Bürger-
gesunden. Dort, „wo sich das Leben in Arbeit und Freude, in
Ringen und Streben, in Glück und Sorge abspielt", im eigenen
Heim, dort reicht die Kunst dem Handwerk die Hand.
6. Entstehung und Lage des Lohnarbeiterstandes.
Zum Bau und zur Einrichtung einer Fabrik ist viel Geld
notwendig. Dieses besitzt der Kapitalist, der Unternehmer, der
II. Teil. Bürgerkunde. 5
I. Kapital
und Aroeits
kraft.