Full text: Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre

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„Deutscher Kaiser" führen sollte. Die feierliche Annahme der 
Kaiserwürde und Proklamation des Deutschen Reiches fand am 
18. Januar 1871 in den Spiegelsälen des Schlosses zu Ver¬ 
sailles statt. 
§ 4. Rechtlicher Charakter des Deutschen Reiches. 
Da die einzelnen Staaten ihre Selbständigkeit bewahren, 
ist das Deutsche Reich kein einheitlicher Staat, etwa eine kon¬ 
stitutionelle Monarchie, sondern eine Staatenverbindung, die wir 
Bundesstaat nennen. Die Angehörigen der Einzelstaaten sind 
zugleich Bürger des Reiches. 
Das Reich besteht aus 26 Einzelstaaten: 22 Monarchien: 
Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg (Königreiche); Baden, 
Hessen, Sachsen-Weimar, Oldenburg, Mecklenburg-Schwerin, 
Mecklenburg-Strelitz (Großherzogtümer); Anhalt, Braunschweig, 
Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha 
(Herzogtümer); Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Son- 
dershausen, Waldeck, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, 
Lippe, Schaumburg-Lippe (Fürstentümer); drei Republiken: die 
drei freien Reichsstädte Hamburg, Lübeck und Bremen; einem 
unmittelbaren Reichslande: Elsaß-Lothringen. 
Diese Einzelstaaten schließen, wie es in der Verfassungs¬ 
urkunde heißt: „einen ewigen Bund zum Schutze des Bundes¬ 
gebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes sowie zur 
Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes". Zum „Schutz des 
Bundesgebietes" wird der Bund in erster Linie geschlossen. Es 
ist also im neuen Reiche nicht mehr möglich, daß ein Einzelstaat 
selbständig mit einem fremden Staate Krieg führt, Bündnisse 
schließt oder gar gegen einen anderen Bundesstaat vorgeht. Die 
Verteidigung des gemeinsamen Vaterlandes ist die erste Aufgabe 
des Deutschen Reiches. 
Weitere dem Reiche zur Lösung überwiesene Aufgaben sind : 
die Gesetzgebung, die Organisation des Gerichtswesens, das 
Post- und Telegraphenwesen, das Zollwesen, die Erhebung von 
Steuern für die Zwecke des Reiches, die Verwaltung der Ko¬ 
lonien. Andere staatliche Aufgaben, wie die Regelung des Schul¬ 
wesens, die Stellung zur Kirche usw., bleiben den Einzelstaaten 
überlassen. Die Reichsgesetze gehen den Landgesetzen vor. „Reichs¬ 
recht geht vor Landrecht" sagt ein Artikel der Verfassung. 
Es gibt also Reichsbehörden und staatliche Behörden, Reichs¬ 
beamte und staatliche Beamte. Behörden sind dauernde Ein¬ 
richtungen, in denen die Staatsgewalt zum Ausdruck kommt, 
die Beamten dagegen wechseln; der Staat überträgt ihnen auf 
Zeit die Ausübung eines Teiles seiner Gewalt.
	        
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