Full text: Abriß der Staatsbürgerkunde

16 Die Bundesstaaten. 
Er besteht in Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden und Hessen 
aus zwei, in den übrigen Staaten aus einer Kammer. Die erste Kammer ist 
in erster Linie aus den Standesherren der früheren Jahrhunderte hervorge¬ 
gangen, daher sind hauptsächlich der Adel und Großgrundbesitz, sowie hohe Be¬ 
amte und Bürgermeister der größeren Städte in ihr vertreten. Soweit die Be¬ 
treffenden nicht durch ihre Abstammung oder ihr Amt Anrecht auf Sitz in der 
ersten Kammer haben, werden sie in der Regel vom Landesherrn auf Lebens¬ 
zeit in dieselbe berufen. 
Die eigentliche Volksvertretung ist die zweite Kammer, in Staaten mit 
nur einer Kammer gleicht diese in der Hauptsache den zweiten Kammern. Die 
Abgeordneten dieser Kammer gehen aus Wahlen hervor, die in den einzelnen 
Staaten verschieden geregelt sind. Wahlberechtigt ist in allen Staaten nur, wer 
1. Staatsangehöriger, 2. männlichen Geschlechts, 3. mindestens mündig, meist 
aber 25 Jahre alt, 4 im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte, 5. nicht im Kon¬ 
kurs befindlich ist und keine öffentliche Armenunterstützung erhält. Daneben be¬ 
stehen in manchen Staaten noch eine Reihe anderer Anforderungen, so z B. 
daß die Wähler direkte Steuern entrichten (Bayern, Sachsen, Oldenburg, eine 
Reihe Kleinstaaten), den Verfassungseid leisten (Bayern) oder seit längerer Zeit 
die Staatsangehörigkeit besitzen. 
Auf das eigenartige preußische Dreiklassenwahlsystem kann an dieser Stelle 
nicht eingegangen werden (siehe Ausgabe für Preußen); es findet seine Nach¬ 
bildung heute nur noch in einigen Kleinstaaten (Sachsen-Altenbnrg, Lippe). In 
den beiden Mecklenburg besteht überhaupt noch keine Volksvertretung, sondern 
nur eine erste Kammer (Stände, Ritterschaft). 
In weitaus den meisten deutschen Bundesstaaten finden wir das gleiche, 
geheime und direkte Wahlrecht (Bayern, Elsaß-Lothringen, Baden, Hessen, 
Bremen), wenigstens für einen Teil der Abgeordneten (Württemberg, Sachsen- 
Meiningen, beide Schwarzburg, Braunschweig, Reuß j. L., Schaumburg-Lippe, 
Hamburg). In den letzteren Staaten, mit Ausnahme Württembergs, werden 
die übrigen Abgeordneten teilweise vom Landesherrn ernannt, teilweise wie bei 
den ersten Kammern von besonderen Ständen gewählt. Die Wahl erfolgt durch 
Abgabe von Zetteln, die den Namen des von dem Betreffenden gewühlten Ab¬ 
geordneten enthalten. Gewählt ist in der Regel, wer die meisten Stimmen erhält. 
Ein ähnliches Wahlverfahren ist das gleiche, geheime, indirekte, wie 
wir es in Sachsen-Weimar, Oldenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, Anhalt, Waldeck 
und Reuß ä. L. finden. Hierbei werden von den Wählern zunächst besondere. 
Wahlmänner und von diesen erst die Abgeordneten gewählt. 
Eigenartig gestaltet ist das Wahlrecht in Sachsen, wo die Wähler je nach 
Einkommen, Beruf, Grundbesitz und Vorbildung 1—4 Stimmen haben. Die 
Höchststimmenzahl wird bereits bei einem Jahreseinkommen von 2800 Mark 
erreicht. Wer über 50 Jahre'alt ist, erhält, soweit er nicht 4 Stimmen besitzt, 
eine Zusatzstimme. Man nennt dieses Wahlverfahren Pluralwahlrecht. 
Eine Besonderheit findet sich auch in Württemberg insofern, als hier ein Teil 
der Abgeordneten (23) nach dem Proportionalwahlrecht bestimmt wird 
Hierbei geben die Wähler in großen Bezirken ihre Stimme für eine ganze Reihe 
von Abgeordneten ab, von denen dann diejenigen gewählt sind, die im ganzen 
die meisten Stimmen erhalten.
	        
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