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Depesche vom Leuchtturm: Draußen auf den Klippen ist ein
Schiff gestrandet, Frauen und Kinder sind mit an Bord! Sofort
erheben sich die wetterfesten Gestalten und eilen über den Deich dem
Hause des Rettungsbootes zu, so schnell die schweren Stiefel und der
heftige Sturm es gestatten. Der Weg bis zum Bootshaus ist nicht
weit. Die großen Flügelthore an den Giebelseiten sind schon geöffnet.
Das weiß und blau gestrichene Rettungsboot liegt, an starken Tauen
befestigt, auf einer bis ins Wasser reichenden hölzernen Rutschbahn,
so daß es bei jedem Wasserstande leicht in die See gebracht werden
kann. An den Wanden des Häuschens hängen das Ölzeug und die
Korkwesten für die Bedienungsmannschaften.
Ohne zu sprechen ziehen die hereingetretenen Männer das Ölzeug
über ihre Kleider, stülpen den Südwester auf den Kopf und binden
ihn unter dem Kinn fest; dann noch die Korkweste um den Leib, und
jeder nimmt seinen Platz im Boote ein.
Langsam erst gleitet das Boot auf der schrägen Rutschbahn dem
Wasser zu, dann geht es schneller und schneller, und zuletzt saust das
stattliche Boot mit großer Schnelligkeit hinunter in die tosende Brandung.
Hochauf schäumen die Wogen und spritzen ihren Gischt den Männern
ins Gesicht. „Riemen aus!" kommandiert der Vormann, und die
langen Ruderstangen tauchen ins Wasser. Trotz des hohen Wellen¬
ganges fliegt das Rettungsboot wie eine Möve dahin. Bisweilen wird
es auch von einem kleinen Schleppdampfer ins Schlepptau genommen,
damit es schnell nach der weit entfernten Unglücksstelle gelangen kann;
denn bei solch einem Rettungswerk handelt es sich oft um Minuten.
Hochauf wie eine Feder wird das Boot von der rasenden See
gehoben, um gleich darauf wieder in einem Abgrund zu verschwinden.
Aber die Mannschaft versteht ihr Handwerk. Gleichmäßig tauchen die
langen, schweren Riemen ins Wasser, und mit starker Hand führt der
Vormann das Steuer. Mit scharfem Blick beobachtet er die heran¬
rollenden Wellen und steuert ihnen geschickt das Boot entgegen. Jetzt
brüllt eine furchtbare Welle heran und geht über die Mannschaft hin¬
weg, das Rettungsboot ganz unter sich begrabend. Aber nein! Dort
taucht es aus den Fluten auf, als wäre nichts geschehen. Die Männer
sitzen wie vorher aus den Bänken, und schon arbeiten die Ruder wieder.
Wie ist das möglich? — Das Boot hat 2 luftdicht gegen einander
abgeschlossene Boden und vorn und hinten Luftkästen. Dadurch ist
ihm eine große Schwimmkraft verliehen. Rings um das Boot läuft
außen eine mit Kork gefüllte Walze die das Anprallen an einen harten
Gegenstand abschwächt. Damit es nicht umstürzen kann, hat es einen