122
XIIT. Vaterland und Volkstum.
er die weiße Fahne sah. Der General von der Tamr reitet heran,
erkennt Raoult, an dessen Seite er in Afrika gekämpft hat, und läßt
dem Kronprinzen von Preußen über die Gefangennahme Bericht er¬
statten. Dieser eilte sofort selbst herbei, um den französischen General
zu trösten. Mit schwacher Stimme redet ihn Raoult an. „Königliche
Hoheit," so sprach er, auf Duhousset zeigend, „ich stelle Ihnen
ineinen Adjutanten vor, der sich geweigert hat, mich im Stiche 511
lassen." Der Prinz wandte sich darauf gegen den Major und sagte:
„Zur Belohnung für ihr schönes Verhalten gebe ich Ihnen die Frei¬
heit!" Der Wagen des Kronprinzen nahm dann die beiden Offiziere
auf und führte sie nach dem Schlosse eines Grafen, der in der Nähe
wohnte, wo Raoult nach einem Monat in den Armen Duhoussets
starb. Letzterer aber machte voll der Gnade des Kronprinzen keinen
Gebrauch, sondern blieb bis Ende des Krieges Gefangener. Das
milde Auftreten des Kronprinzen in Frankreich liebst vielen Zügen
persönlichen Wohlwollens allch gegen den Feind trug dazu bei, dem
hohen Fürstensohne einen gewissen Grad von Zuneigung selbst bei
ben Franzosen zu erwerben. A. Wolter.
265 (285). Der Kronprinz und der Bayer.
Am Morgen nach der Schlacht bei Wörth fand der Kronprinz
ill einer kühlen Gartenlaube eilten bayerischen Soldaten tapfer früh¬
stücken, wie er mit Tage vorher ebenso tapfer ans die Franzosen ein¬
gehalten hatte. Sowie der wackere Bayer den hohen Herrn erblickte,
sprang er von seinem Sitze auf und stellte sich kerzengerade hin. Deni
Kronprinzen gefiel der hübsche, kräftige Soldat, und er ging auf ihli
zu, nannte ihn seinen braven Kriegskameradeil nnb sagte: „Ich freue
lnich, daß du dir's hier so trefflich schmecken läßt nnb so fröhlich bist
bei deiner Arbeit!"
Teilt Bayeril behagte diese Anrede, nnb da ihm der Mund ans
der rechten Stelle saß, nnb nicht zugefroren war, so erlviderte er:
„Na, sollen's mer nit lustig sein, Königliche Hoheit? Dös allein freut
ini, daß mer jetzt so keckli raufen können, lind hat lius keiner mer
drein zureden."
Ter Kronprinz lachte nnb sagte: „Ja, ja, ihr habt aber auch
nach Noten gerauft, ihr braven Bayern!" Nun wurde der Bayer
erst redselig, nnb fuhr fort: „Haben's vielleicht gemeint, wir hätten
keine Kourage nit? Hütten's uns geführt dazulnal 1866, Hoheit,
hätteil's schaueil solleil, wie wir die Malefizpreußen sakrisch verhaueil
hätteil."
Ter Kroilprinz nnb seine Begleiter bracheil in ein schallendes
Gelächter aus über diese freimütige Rede des Tapfern. Dann griff
der Kronprinz ill die Tasche, langte ein Geldstück hervor nnb gab es
dem Bayern mit den Worteil: „Du bist ein braver Junge, nimm
dies ilnd trinke eins auf meine Gesundheit!"
Der „brave Juilge" ivird sich den Befehl Seiner Königlichen
Hoheit geiviß scharf hinters Ohr geschrieben habeli. Zu seiner Um-