Sage und Geschichte.
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worfenen Netze, der Hering kam jährlich in ungeheuren Wanderzügen
durch den Sund, und an den Flussmündungen wimmelten der Lachs und der
Aal. Besonders aber war der Heringsfang für die nordischen Handels¬
städte von der grössten Wichtigkeit. Bis zum Ende des zwölften Jahr¬
hunderts zog der Fisch längs der Küste von Pommern in so dichten
Massen, dass man im Sommer nur den Korb ins Meer zu senken brauchte^
um ihn gefüllt herauszuziehen. Damals wuchsen Lübeck, Wismar,
Rostock, Stralsund und Greifswald mit wunderbarer Schnelligkeit zu ho¬
hem Wohlstand. Im dreizehnten Jahrhundert aber verlegte der Hering
seine Seewege und strich längs der flachen Küste von Schonen und am
norwegischen Ufer. Da eilten alle seetüchtigen Völker in sein Fahr¬
wasser, und die deutschen Hansastädte kämpften um seinetwillen blutige
und siegreiche Kriege mit den Dänen, Engländern, Schotten und Hol¬
ländern ; sie brachen den dänischen Königen ihre festen Schlösser, be¬
setzten ihre Inseln und behaupteten Jahrhunderte hindurch die Herrschaft
in Gotland, Schonen und Bergen. Das war die grosse Zeit der deut¬
schen Hansa. Nach 1400 aber änderte der Hering wieder seine Züge
und ging an die holländische Küste; seitdem wurden die holländischen
Städte reich und mächtig.
War der hanseatische Kaufmann daheim, so zeigte er gern seinen
Wohlstand durch stattliche Kleidung, kostbare Pelze und bunte Farben;
er trug das Schwert an der Seite und am reichverzierten Gurt die Geld¬
tasche und den Siegelring, worin das wichtige Zeichen seines Geschäftes,
die Hausmarke, eingegraben war. Denn er war des Schreibens nicht
immer mächtig, und durch dieselbe Marke, die von seinen Fässern und
Ballen her an allen Enden der Welt bekannt war, bestätigte er Geld¬
anweisungen und Urkunden, die er durch seinen Schreiber ausstellen liess.
Aber derselbe Mann trug zur See auch die Friesjacke des Schiffers
und das Panzerhemd des Kriegers. Denn wenn er auf seinem rund¬
bauchigen, hochbordigen Fahrzeuge das Meer durchstrich, dann hatte er
nicht selten mit verwegenen Seeräubern zu kämpfen. Auch in fremden
Ländern musste er manchen blutigen Straufs bestehen; doch trug er mit
seiner zähen Ausdauer stets den Sieg davon, und im Gefolge seiner kauf¬
männischen Arbeit brachte dann auch das Christentum in Länder, die
bis dahin völlig unbekannt gewesen waren, seine Segnungen. So trugen
bremische Kauffahrer in das heidnische Livland Christentum und deut¬
sches Wesen.
Die Blüte der Hansa dauerte dreihundert Jahre. Erst nach Auf¬
findung neuer Seewege, als dem Handel neue Bahnen eröffnet waren,
geriet sie in Verfall und hielt 1630 ihre letzte Tagsatzung. Noch heute
führen Hamburg, Lübeck und Bremen den alten Namen Hansestädte fort.
Nach Freytag. (aus Keck u. Johansen, Vaterl. Lesebuch).