Ein Besuch bei (Kellert.
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ficht, auch im Getümmel, auch unter wilden Raubgeselleu Gott und die Tugend vor
Augen haben, damit er das Vorrecht seines Standes, welcher der edelste sein sollte, nicht
mißbraucht, um ihn unter den der Räuber und Mörder herabzuwürdigen. Die Thränen des
Dankes, die ein geretteter Greis, eine sittsame Jungfrau dir weint, diese, mein junger, lieber
Sohn y werden dir noch im Alter wohlthun, die machen dein Todesbett sanft, die vergüten
wol manche Vergehung 2).''— So wie der Alte so ans mich einredete, stürzten mir die Hellen
Thränen in großen Tropfen aus den Augen, denn nun empfand ich erst, wie viel Böses,
Unerlaubtes und Tadelnswürdiges ich schon als Soldat ausgeübt hatte. Ich schluchzte
und konnte nicht zu mir kommen. Da stand der Edle auf, legte mir seine schöne Hand auf
die Schulter und wollte mich trösten; ich aber faßte diese Hand und drückte den herzlich¬
sten Kuß darauf, indem ich die Sprache wieder fand und sagte: „Großer Mann, diese
Viertelstunde ist mir unbezahlbar, denn Sie haben einen andern Menschen aus mir ge¬
macht." —- Von Stund au schlug 3 *) ich auch in mich, ließ das wilde Leben fahren, und
seitdem konnte ich auch erst mit Vernunft tapfer sein, da mein Umtreiben im Felde nicht
mehr ein toller Rausch und Taumel war, wie er die meisten meiner Kameraden D begei¬
sterte. Vater Ziethen zeichnete mich auch bald aus, ich war mit mir selbst zufrieden,
und nun wurde ich es erst inne, daß dieses Gefühl die Krone des Lebens sei. Dieses
Alles, meine ganze Moralität 5 *), habe ich diesem Besuche bei unserm unsterblichen
Geliert zu danken^)." L. Ti eck.
II-
Idylle.
3. Der Wunsch.
(Aus den „Idyllen." Der Text ist in den verschiedenen Abdrücken sehr avweichend.)
1. Dürft ich vom Schicksal die Erfüllung meines einigen 7) Wunsches hoffen; denn
sonst sind meine Wünsche Träume; ich wache aus, und weiß nicht, daß ich geträumt
habe/es sei denn ein Wunsch Zür Andrer Glück; dürst ich vom Schicksal dieses hoffen 8),
dann wünscht ich mir nicht Überfluß, auch nicht über Brüder zu herrscheu, nicht, daß
entfernte Länder meinen Namen nennen. O könnt ich unbekannt und still, fern vom
Getümmel der Stadt, wo dem Redlichen unausweichliche Fallstricke gewebt9) sind, wo
Sitten und Verhältnisse tausend Thorheiten adeln, könnt ich in einsamer Gegend mein
Leben ruhig wandeln 10), im kleinen Landhaus, beim ländlichen Garten, unbeneidet und
unbemerkt!
2. Im grünen Schalten wölbender ") Nußbäume stünde dann mein einsames Haus,
vor dessen Fenstern kühle Winde und Schatten, und sanfte Ruhe unter dem grünen Ge¬
il Liebevolle, väterlich wohlwollende Anrede an eine jüngere männliche Person. S. Nr. 138, 4.
2) Warum ist die wiederholt? Schulgr. §. 374, 12. Kl. Gr. §. 220. — 3) Gewöhnlicher ist gieng ich
in mich. — 4) Oben stand Genossen, Gesellen, hier Kam er ad en ; wie unterscheiden sich diese
sinnverwandten Ausdrücke? (Kamerad —Kammer-, Stuben-, Zeltgenosse: Geselle —eig. der mit
einem andern in demselben Saal, d. h. dem Speise-, Unterhaltungs-und Schlafgemach zu ebener
Erde sich aufhält; Genosse —eig. der Mit genieß ende.) — 5) Sittlichkeit (lat. moralitas, von
moralis, dies von mos — die Sitte). — 6) In welche Theile zerfällt das Ganze? Was läßt sich
sürZeit, Ort und Personen aus den ersten Zeilen entnehmen? — 7) Heute ist einzig in diesem Sinne
gebräuchlicher. — 8) Warum wird dieser Satz wiederholt? — 9) Nicht der gewöhnliche Ausdruck. —
10) Auch nicht der gewöbulicke Ansdruck. — 11) Das Wort steht hier neutral, sonst reflexiv: sich
wölbender. Schulgr. §. 316. 317. Kl. Gr. §, 159.
Kehrein, Lesebuch. Obere Lehrstufe. 2