Geschichtlicher Überblick der deutschen Versknnst.
473
Rhythmus aber acht Takte, uur daß der letzte in die Pause fällt. So sind die drei Langzeilen der
vierten gleich, nur daß in dieser der achte Takt in keiner Pause zu stehen braucht, weil mit ihm
die Strophe zu Ende ist, und so von selbst eine Pause eintritt. Wir gewinnen also einen Rhyth¬
mus von 32 Takten in vier Langzeilen, jede zu acht Hebungen, sangbarer, als würden die acht
Hebungen voll, weil der Sänger dreimal mehr sich ausruhen kann.
Lyrische Metra.
§. 35. Wie der Reim, so wurde mhd. auch der regelmäßige Tonfall der Reimzeile
immer deutlicher uud absichtlicher unterschieden, und neben dem vorherrschenden jambischen
Gang der alten Heldenlieder und anderer erzählenden Gedichte (meist in gereimten Paaren),
gleich wie der Minnelieder, finden sich in den letztern auch häufig nicht nur trochäische
Verse und Füße und deren mannigfaltige Verbindung mit den jambischen in einer und der¬
selben Strophe, ja Zeile, sondern auch daktylische und anap ästische Füße, im Wechsel
mit jenen zweisylbigen Füßen (§. 28).
§. 36. Diese mannigfaltigen Versfüße werden in ebenso mannigfaltiger Anzahl ver¬
bunden, von zwei bis elf, innerhalb getheilt durch Einschnitte (Cäsuren), welche mit An¬
klängen und Reimen wechseln, oder durch noch andere Jnreime gesondert, bis zu Wort für
Wort gereimten Gedichten.
Künd ich nu underscheiden wol zwene namen, wib und vrouwe, des wolt ich mich vli;en:
Wip den namen lobent alle man, wan der ist gemeine guot, man mak in niht verwi;en ').
Der Meißner.
Früt brüt sich mich an; man hat rät da, swä du nü bist.
Din schin wit git muot guot dem, swem sin pin ark, stark ist1 2).
Konrad v. Würzburg.
§. 37. Diese so mannigfaltig gegliederten Reimzeilen werden in ebenso mannig¬
faltiger Zahl, von 4—60, bei den Meistersängern bis über 100 zu einer Strophe verbunden.
Dazu kommt der Wechsel und die Verschlingung der Reime und ihre Wiederholung, welche
von 2—20 in einer Strophe steigt. Aus solcher Verbindung entsteht eine zahllose Menge
verschiedener Strophen oder Töne.
§. 38. Bei dem Ban aller dieser Strophen waltet das allgemeine, in der Natur und
Kunst und auch im Sprachbau begründete Gesetz der Dreith e i lig keit, d. i. der Ent¬
zweiung (Zweigung) in Satz und Gegensatz, und Vereinigung im Schlußsatz, was die
Meistersänger (entsprechend der griechischen Strophe, Antistrophe und Epode) S t o l l e n
und Gegenstollen nennen, im Bilde eines Gestelles oder Gezimmers, welches der Ab¬
gesang verbindet und deckt. Der Abgesang, dem gegenüber die beiden Stollen A u f -
ge sang heißen können, wiederholt manchmal Theile der völlig gleichen Stollen, jedoch meist
mit eigenem Zusatz.
Ir sult sprechen willekomen :
der iu maere bringet, da; bin ich.
Alle; da; ir habt vernomen,
da; ist gar ein wint: nü fräget mich.
Ich wil aber miete:
wirt min Ion iht guot,
ich sage iu vil lihte da; iu sanfte tuot.
seht wa; man mir eren biete3).
Walther von der Vogelweide.
§• 39. Ein Lied (strophisches Gedicht, bei den Meistersängern Bar) besteht gewöhn¬
lich aus 3 oder 5, seltener aus 7, 9 rc. Strophen, jedoch meist aus ungraden Zahlen, in
1) Könnt ich mm unterscheiden wohl zwei Namen, Weib und Frau, deß wollt ich mich befleißen:
Weib den Namen lobet jedermann, denn er ist gemein gut, man mag ihn nicht verweißen (tadeln).
2) Kluge Braut sieh mich an; man hat Rath da, wo du nun bist.' Dein Schein weit gibt guten
Muth dem, wem seine Pein arg, stark ist.
3) Ihr sollt sprechen willkommen : der euch Märe (Kunde, Erzählung) bringet, das bin ich. Alles,
das ihr habt vernommen, das ist gar ein Wind (unbedeutend): nun fraget mich. Ich will aber Miethe
(Lohn): wird mein Lohn irgend gut, ich sage euch vielleicht, das euch sanft thut. Seht. was man mir
für Ehren biete.